Gene und Meme
Biologisch ist das keine Frage: Die Eltern eines Kindes geben bei der Zeugung etwa die Hälfte ihrer Gene via Eizelle und Spermium an das Kind weiter. So funktioniert Vererbung. Biologen sprechen sogar davon, dass ein Lebewesen nur der Träger der Gene ist. Der Sinn der Existenz eines Lebewesens sei nur, die Güte der Gene nachzuweisen um diese dann weiterzugeben. Das ist sicherlich überspitzt, aber das Denkmodell der „egoistischen Gene“ kann einige Verhalten von Lebewesen erklären.
Auch Menschen möchten ihre Gene vererben. Oft legen sie Wert darauf, den erheblichen Aufwand, den ein Menschenkind erfordert, bis es auf eigenen Füßen steht, möglichst nur den eigenen leiblichen Kindern zukommen zu lassen. Für eine Frau ist es kein Problem festzustellen, ob ein Kind ihre Gene trägt. Für einen Mann ist die Abstammung der Kinder seiner Frau schon schwieriger festzustellen, er kann sich nicht immer sicher sein, ob er diese Kinder auch gezeugt hat. Deshalb gibt es auch die Versuche, das Reproduktionsverhalten der Frauen zu kontrollieren. Das führt manchmal zu absurden Maßnahmen wie Totalverhüllung, Einsperren der Frauen oder Genitalverstümmelungen.
Gene spielen nicht die Hauptrolle in der Eltern-Kind-Bindung
Aber ist dieser Drang nach genetischer Eindeutigkeit noch zeitgemäß in einer Gesellschaft, in der eine Familie aufgrund von Scheidungen häufig ein Patchwork ist? Und auch früher gab es Patchwork-Familien, denn da starb die Mutter häufig im Kindbett, der Vater im Krieg, der fehlende Elternteil wurde dann durch Stiefeltern ersetzt. So war und sind Eltern also keineswegs immer Erzeuger der Kinder. Wenn sie die Elternrolle übernehmen, nehmen sie das bewusst in Kauf. Den Stiefkindern geht es dann normalerweise nicht schlechter als den leiblichen. Beim Vater eines Kuckuckskindes ist das etwas anderes, da ist ein Betrug die Grundlage der Vaterschaft. Kommt das zutage, fühlt er sich zu Recht hintergangen. Aber auch er wird das Kuckuckskind oft trotzdem lieben wie sein eigenes.
Neuerdings gibt es Samenspender und Spenderinnen von Eizellen, ja sogar Leihmütter. Es entstehen Kinder, die nicht oder nur zum Teil die Gene ihrer Eltern tragen. Trotzdem werden auch und gerade solche Kinder großgezogen und ernährt. Vom rein biologischen Standpunkt aus gesehen ist das in allen Fällen dumm: laut biologischer Lehrmeinung zeugen Eltern ein Kind und ziehen es auf, damit ihre eigenen Gene weitervererbt werden. Gerade bei uns Menschen, wo die Aufzucht der Jungen unglaublich aufwendig und langwierig ist, scheint das besonders viel verlorene Mühe zu sein. Wenn es nur auf die Gene ankäme, müssten sich Väter verhalten wie Löwen und Stiefkinder töten.
Trotzdem leisten Stiefeltern diesen Aufwand. Was Eltern ausmacht, muss also mehr sein als die reine Biologie, mehr als die Vererbung der Gene. Tatsächlich geben wir Menschen unseren Kindern mehr mit auf den Weg als unser Erbmaterial. Sie nur satt zu machen, macht Kinder nicht erwachsen. Denn der Mensch ist mehr als reine Biologie.
Vererbung der Meme
Der Mensch ist ein soziales Wesen, das in einem hohen Maße durch Wissen und erlerntes Verhalten definiert wird. Beim Umgang mit Anderen spielt die eigene Grundhaltung, die Lebensphilosophie, unsere Fähigkeiten und unser Wissen eine wesentliche Rolle. Und das alles übernehmen wir bewusst oder unbewusst auf dem Wege der Erziehung von den Personen, die für uns sorgen. Seien wir nun mit ihnen biologisch verwandt oder nicht, das spielt dabei kaum eine Rolle. Und hier liegt der „Gewinn“ für die Stiefeltern. Sie geben dem Kind etwas mit, was, wie ich glaube, wichtiger ist als die biologische Grundausstattung: die eigenen geistigen Grundwerte, sozusagen ein Stück der eigenen Seele. Und so leben sie in ihren Kindern weiter, nicht biologisch, sondern geistig und seelisch.
Die Weitergabe von Wissen und von geistig-seelischen Grundwerten wird auch Weitergabe der Meme genannt. Man versteht Meme als nicht-materielles Pendant zu den Genen. Vielen Menschen ist die Weitergabe der Meme genauso wichtig wie die der Gene. Je intelligenter der Vererbende ist, umso wichtiger werden ihm die Meme und umso unwichtiger die Gene.
Wie wichtig Menschen die geistig-seelische Vererbung sein kann, zeigen neben den Stiefeltern auch die sogenannten Alloeltern („Anders-Eltern“), die einen Teil der Erziehung der Kinder übernehmen, ohne mit ihnen näher verwandt zu sein. Ihnen ist bewusst, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind gesund aufzuziehen. Und sie machen das nicht aus rein altruistischen Motiven, sie wissen, von der Bedeutung der Meme.
Väter verpassen ihre Chance bei der Eltern-Kind-Bindung!
Leider gibt es auch Eltern, vor allem Männer, denen die Weitergabe der Gene und die Versorgung von Mutter und Kind ausreichen, sich als Väter zu fühlen. So werden immer wieder Mütter bei der Betreuung der Kinder allein gelassen. Nicht nur, wenn der Vater sie verlässt, sondern auch, wenn er sich in seine Arbeit vergräbt und seine Kinder kaum sieht. Aber für einen einzelnen Menschen ist nicht nur der materielle, sondern auch der geistige Aufwand, der für das Aufziehen eines Kindes zu leisten ist, viel zu hoch. Auch wenn das Kind materiell gut versorgt ist, fehlt ihm Wesentliches. Ihm fehlt der männliche Part, der ihm zeigt und vorlebt, was einen Mann ausmacht. Und auch der Vater versäumt etwas: er hat seinen Kindern (vielleicht) ein Teil seiner biologischen Grundausstattung mitgegeben, seiner Gene, nicht aber seine Meme – die stammt allein von der Mutter. Und so lebt er in seinen Kindern weniger weiter, als er könnte.