Wem es (zu) gut geht, den bestraft das Leben
Kennen Sie diesen Glaubenssatz? Dann haben Sie bestimmt Eltern oder Großeltern, die den Krieg noch erlebt haben. Neid auf die, denen es gut geht, spricht aus diesem Satz, aber auch Angst vor dem Morgen und eine religiös begründete Furcht vor der Sünde der Völlerei. Ich habe ähnliche Sätze als Kind oft von meiner Großmutter gehört: „Euch geht es zu gut, es muss mal wieder ein Krieg her!“ Oder, wenn ein angeschimmeltes Brot weggeworfen wurde: “Ihr werdet das Brot noch einmal in der Mülltonne suchen, wenn der nächste Krieg kommt!“
Diese Sprüche, Abkömmlinge des Spruchs in der Überschrift, erzeugen in Kindern Angst vor der Zukunft. Es bleibt immer das vage Gefühl: Egal, wie gut es mir geht, ich muss mich noch besser absichern und noch mehr Geld verdienen, denn die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Und dann geht es mir dreckig.
Was haben unsere Vorfahren erfahren
Dass diese Überzeugung sich in der Generation meiner Großeltern verfestigt hat, ist verständlich, denn sie hatten drei Katastrophen erlebt. Zuerst der erste Weltkrieg mit Hunderttausenden von Toten und „Kriegskrüppeln“, wie sie damals hießen, und anschließend Hungerjahre – „Steckrübenwinter“. Dann, als es wieder ein bisschen aufwärts ging, die Superinflation mit Verlust von dem Ersparten, das der erste Weltkrieg nicht vernichtet hatte. Schließlich der zweite Weltkrieg, oft mit anschließender Flucht. Das Drama der toten oder abwesenden Männer, Väter oder Söhne, die, wenn überhaupt, traumatisiert zurückkamen. Die Mitschuld wurde verdrängt. Als unerwünschter Flüchtling oder Ausgebombter mussten dann auch noch die Hungerjahre der späten 40’er überlebt werden. Kein Wunder, dass in dieser Generation der festen Überzeugung war, ein rachsüchtiger und neidischer Gott würde immer dann zuschlagen, wenn man sich gerade ein wenig erholt hatte.
Diese Ängste hat diese Generation an ihre Kinder und Enkel weitergegeben, denn ihnen fehlte die Zeit, ihre Erlebnisse und Traumata zu verarbeiten. Die Nachkriegsjahre waren auch nicht geeignet, die Menschen zu beruhigen: der Kalte Krieg inklusive Koreakrieg und Kubakrise und die Tatsache, dass Deutschland als Pufferstaat, Austragungsort und Glacis für einen kommenden Atomkrieg vorgesehen war. Die Hilflosigkeit, mit der man diesem Schicksal ausgeliefert war, war nur durch Verdrängung zu ertragen. Im Ausland lacht man über die „German Angst“, aber sie war durchaus berechtigt. Und dass man dem Schicksal gegenüber misstrauisch ist, ist bei dieser Geschichte durchaus berechtigt. Da hilft auch das beste Wirtschaftswunder nichts. Man wartet auf die nächste Strafe.
Der deutsche Pessimismus
So ist bis heute die deutsche Bevölkerung, wenn sie älter als 30 ist, eher pessimistisch gestimmt. Auch die hedonistischen 80’er, als die Kriegsenkel im Berufsleben Fuß fassten, waren dafür ein Zeichen. Man lebte nach dem Grundsatz: „Genieße jetzt, Du weißt nicht, was kommt.“ Man hatte ja schon seit Generationen gelebt, gearbeitet und Ressourcen genutzt, als gäbe es kein Morgen – und für viele gab es das ja auch nicht. Die Erfahrung hatte gezeigt: Das Morgen ist unsicher, Planung und Nachhaltigkeit ist sinnlos, es kommt ja doch eine Katastrophe. So erschien das Handeln dieser Generationen egoistisch, weil sie nur auf das Überleben getrimmt waren.
Wie geht es weiter?
Erst die ab den 90’ern Geborenen machen sich echte Gedanken um Nachhaltigkeit. In dieser Generation haben sich die schlechten Erfahrungen der Vorfahren soweit „verwässert“, dass es wieder sinnvoll zu sein scheint, sich über die Zukunft Gedanken zu machen und Ernst zu machen mit nachhaltigem Wirtschaften.
Mir ist erst vor kurzem dieser Zusammenhang klar geworden. Auch die „besorgten Bürger“ gehen ja nur deshalb auf die Straße, weil sie die nächste Krise fürchten. „Es kommt nichts besseres nach!“, ist immer noch ein stehender Spruch in Deutschland. Deshalb versucht man, notfalls mit Gewalt, den Status Quo zu erhalten. „Keine Experimente!“, damit hat schon Adenauer Wahlerfolge gefeiert.
Wir müssen unser Verhalten ändern!
Es nützt aber nichts, alles hat sich geändert: Unsere Nachbarn, unsere Umwelt, die Weltwirtschaft und die technischen Möglichkeiten. Und so bleibt uns nichts anderes übrig, als dass wir uns auch ändern. „Weiter so, Deutschland!“ treibt uns in den Ruin. Und unsere Ressourcen weiter zu vergeuden, dieses Vorgehen fällt uns demnächst auf die Füße. Das Insektensterben zeigt uns: es ist schon nach zwölf. Helfen wir unseren Kindern und Enkeln! Lassen wir zu, dass sie ihre Welt neu denken! Denn wir, mit unserer Vergangenheit und unserer geerbten Last, konnten kaum anders als falsch handeln.