Mütter und Söhne
Vor kurzem habe ich einen Roman gelesen, bei dem es um den Berufswunsch eines jungen Mannes ging. Seine Mutter war alleinerziehend, weil der Vater bald nach der Hochzeit seinem Beruf im Ausland nachgegangen war und durch einen Arbeitsunfall starb, ohne seinen Sohn zu sehen. Sein Beruf war gefährlich, brachte ihm aber viel Ansehen ein.
Die Mutter tat natürlich alles, um ihren Sohn von diesem Beruf fernzuhalten. Sie zog ihn behütend auf und unterdrückte alle seine Neigungen, die ihn zum Beruf des Vaters hätten führen können. Aber es nützte alles nichts: eines Tages verkündete der Sohn, er wolle genau diesen Beruf ergreifen. Wieder versuchte die Mutter ihn zu schützen: zum Bewerbungsgespräch zog sie ihm ein nicht passendes „Konfirmanten-Anzügelchen“ an und schickte ihn mit einem uralten, klapprigen Auto los. Sie wollte ihn vor seinen Kollegen beschämen, so dass er wieder zu ihr zurückkäme.
Der Sohn geht seinen Weg
Aber auch das nutzte nichts: der Sohn hatte offensichtlich die Begabung vom Vater geerbt und bekam die Stelle. Er stieg schnell in den Aufsichtsrat eines angesehenen Think-Tanks auf. Er heiratete, da er aber das Schicksal seines Vaters nie kennengelernt, geschweige denn verarbeitet hatte, musste er es wiederholen. Er verließ seine Frau kurz nach der Hochzeit, um im Ausland Karriere zu machen. Nach einigen Umwegen wurde er auch CEO eines berühmten Unternehmens.
Nun die Preisfrage: Wer hat diesen Roman wann geschrieben, und wie hieß die Hauptperson?
Es kann sich ja eigentlich nur um einen modernen Roman handeln, denn diese Problematik tritt ja heute ständig auf. Alleinerziehende Mutter, deren ganzer Lebenssinn ihr Sohn ist – und dann muss sie ihn doch ziehen lassen, sehr modern, oder? Ein habe ich noch vergessen: Die Mutter starb, nachdem ihr Sohn sie verlassen hatte, an einem Herzleiden.
Überraschung! Der Schriftsteller hieß Wolfram von Eschenbach, er hat seinen Roman im 13. Jahrhundert, also im Hochmittelalter, geschrieben. Der Beruf war Ritter, der Protagonist Parzival, der Think-Tank die Tafelrunde und das berühmte Unternehmen war die Gralsburg.
Das Problem ist so alt wie die Welt
Mütter sind mit ihrem Kind die ersten Jahre symbiotisch verbunden, viel enger als die Väter. Das ist ja auch klar, sie haben ihr Kind neun Monate im Bauch getragen. Es kommt aber der Zeitpunkt, an dem die Mutter loslassen muss – immer wieder ein kleines Stückchen. Wird sie dabei von ihrem Mann unterstützt, wird dieser das Loslassen stückweise und in erträglichen Dosen einfordern, denn er weiß, dass der Sohn sich von der Mutter lösen muss, soll er je zum Mann werden.
Ist der Vater aber nicht vorhanden, weil er ständig auf der Arbeit, geschieden oder tot ist, gibt es ein Problem: niemand hilft der Mutter, ihren Sohn Stück für Stück loszulassen, die Symbiose bleibt bestehen. Dann wird der Sohn entweder ein „Muttersöhnchen“, der sich vom „Hotel Mama“ sein Leben lang verwöhnen wird, oder er wird ein „Parzival“, der sich plötzlich und ohne Vorbereitung losreißt. Die Mutter verliert dann den Sinn ihres Lebens und stirbt – zumindest symbolisch – an „Herzelaid“.
Ist also die Mutter schuld?
Ganz sicher nicht, und auch Wolfram von Eschenbach betreibt kein „Mama-Bashing“. Er hat zumindest geahnt, warum es so schicksalhaft zur Katastrophe kommen musste: Der Vater hat bei seinen Pflichten versagt, er war weder ein wirklicher Ehemann, noch hat er verstanden, dass er seinen Sohn „bevatern“ muss, so wie die Mutter ihn bemuttert. Beide Elternteile sind wichtig. (Lesen Sie hier mehr darüber.) Auch seiner Pflicht, dem Sohn Grenzen aufzuzeigen, ist er nicht nachgekommen, er hat das der Mutter überlassen und sich der unangenehmen und nicht immer einfachen Pflicht entzogen.
Aber keine Angst, auch als Mutter können Sie einen Sohn erziehen, der zum ganzen Mann wird, auch wenn Sie alleinerziehend sind. Es ist viel Arbeit, und ich ziehe den Hut vor dem, was Sie leisten. Als Einzelperson die Balance zwischen zulassen und Einschränken zu finden, ist nicht einfach. Dennoch sollten Sie sich ein paar Dinge immer wieder klar machen und danach handeln:
- Ihr Sohn ist nicht Ihr Leben, Sie haben selbst eines. Klar, ein Säugling muss rund um die Uhr versorgt werden, aber später dürfen Sie loslassen, Ihrem Sohn Freiheiten geben. Aber auch und vor allem dürfen Sie sich selbst Freiheiten nehmen. Ihr Sohn wird es überleben, wenn er mal eine Zeitlang ohne Mama ist, er wird es sogar, heimlich zwar – denn er will Sie ja nicht enttäuschen – aber dann doch genießen. Und wenn er mit leuchtenden Augen von seinen Abenteuern erzählt, die er allein erlebt hat, gibt das zwar einen kleinen Stich ins Herz, aber Sie dürfen auch stolz sein, dass Sie ihn losgelassen konnten.
- Ihr Sohn ist männlich, aber weder eine Nicht-Tochter noch der Mann im Haus. Ihr Sohn ist Ihr Sohn, nicht weniger, nicht mehr. Er muss erst zum Mann werden. Und Schimpfen Sie vor Ihrem Sohn nicht auf Männer, vor allem nicht auf den Vater! Ihre schlechten Erfahrungen haben nichts mit Ihrem Sohn zu tun. Ihr Sohn verliert dadurch nur seine Vorbilder.
- Missbrauch ist nicht nur körperlich. Wenn Sie ihrem Sohn aufbürden, Ihre Ehe- oder sonstigen seelische Probleme für Sie zu lösen, missbrauchen Sie ihn genauso. Und auch wenn er erwachsen ist, schuldet er Ihnen nichts.
- Sie werden Ihren Sohn sicher sehr gut erziehen, die meisten alleinerziehenden Mütter tun das. Aber Sie können ihn nicht zum Mann machen, das können nur andere Männer. Diese müssen nicht unbedingt mit Ihnen verheiratet sein. Halten Sie aber immer ein Auge darauf, welche Männer sich Ihr Sohn zum Mentor nimmt. Sie müssen Ihnen nicht gefallen, aber sie müssen integer sein – und wirkliche Männer. Die sind nicht häufig. Wenn es Sie interessiert, schauen Sie mal in meinen Blog unter dem Suchwort Männer.
- Sie dürfen in der Erziehung Fehler machen. Kinder verzeihen viele Fehler, sie sind sozusagen fehlertolerant, wenn sie sich geliebt und geachtet fühlen.
Fazit
Sie haben einen Sohn, das ist schön, aber auch eine Aufgabe. Vor allem wenn Sie allein erziehend sind. Ja, es ist manchmal nicht einfach, aber keine Angst, Sie schaffen das, schon viele Frauen haben das geschafft. Und wenn Sie dafür Begleitung und Unterstützung brauchen, weil Sie unsicher sind, dürfen Sie mich gern kontaktieren.