Paarbildungen und ihre biologischen Grundlagen
Letztens habe ich mal wieder in das Buch des Professors für Biologiegeschichte Thomas Junker: „Die verborgene Natur der Liebe“ geschaut. Dort werden die biologischen Ursachen der Bindung zwischen Menschen betrachtet, also warum sich Paare zusammentun und warum sie zusammenbleiben beziehungsweise sich trennen. Junker findet viele Parallelen zwischen Menschenaffen und Menschen, er versucht aus den biologischen Zusammenhängen zu schließen, warum Menschen sexuell so agieren, wie sie es tun. Im Wesentlichen stützt er sich dabei auf die Genetik. Dabei ist zu bedenken, dass es in der Evolution nicht wichtig ist, ob ein Individuum überlebt, sofern es nur ausreichend Nachkommen hat.
Formen des Zusammenlebens
Bei den Menschenaffen (und Menschen) gibt es verschiedene Formen der Paarbindung:
- monogam – ein Paar bleibt längere Zeit, manchmal lebenslang, zusammen: Gibbons, Menschen
- seriell monogam – ein Paar bleibt längere Zeit zusammen, danach bilden sich neue Paare: Menschen
- promiskuitiv – Frauen paaren sich mit mehreren oder allen Männern der Gruppe : Schimpanse und Bonobo
- polygam – eine Erweiterung der Monogamie, ein Geschlecht lebt monogam, zum Beispiel in einem Harem: Gorilla, Mensch
Junker versucht nun aus biologischen Eigenschaften zu erschließen, ob das Zusammenleben des Menschen immer so war, wie es heute überwiegend zu beobachten ist, oder ob es sich aus kulturellen Gründen gewandelt hat. Dabei bewertet er beobachtbare Eigenschaften wie den Dimorphismus (unterschiedliche Größe von Männern und Frauen), die relative Größe der Hoden, die Dauer eines Beischlafs und wie häufig ein Paar miteinander kopuliert, bis es zu einer Schwangerschaft und einer Geburt kommt.
Wie ist es beim Menschen?
Menschen haben eine andere Form des Zusammenlebens als alle anderen Menschenaffen. Menschen bilden Paare oder Harems, sind dabei aber nicht von anderen getrennt wie die Gibbons oder die Gorillas, sondern leben trotz exklusiver Paarbildung in größeren, sogar großen Gruppen. Deshalb ist der Menschenmann etwas größer als die Frau, denn er will Rivalen abschrecken. Er muss aber auch die Frau an sich binden, das geschieht durch einen lustvolleren Beischlaf als bei allen anderen Affen. Zudem braucht er nicht damit zu rechnen, dass seine Frau kurz vorher mit einem anderen Mann kopuliert hat, deshalb benötigt er nicht so viel Samenflüssigkeit wie Schimpansen und Bonobos, die den fremden Samen mit eigenem herausspülen.
Allerdings scheint der Harem (ich rede hier von Harems mit einem Mann und mehreren Frauen, der umgekehrte Fall ist sehr selten) beim Menschen eine kulturelle Errungenschaft zu sein, die nicht Teil seiner Natur ist, denn es müssen zum Teil gewaltsame Maßnahmen ergriffen werden, um die Treue der Frauen bei einer solchen Form des Zusammenlebens zu sichern:
- Einsperren oder, wenn das nicht möglich ist, zumindest Verschleierung der Frauen
- Genitale Verstümmelung der Frauen
- Bewachung der Frauen durch männliche Familienmitglieder oder kastrierte männliche Wächter
Männer mit Harems sind zufrieden, weil sie sich mit vielen Frauen paaren können und so ihre Gene weiter verbreiten, als wenn sie nur eine Frau hätten. Aber auch Frauen haben Vorteile, denn sie und ihre Kinder sind durch ihren mächtigen und reichen Mann – nur ein solcher kann sich einen Harem leisten – gut versorgt, auch wenn sie ihn nicht exklusiv besitzen. Beide leiden aber auch an den Nachteilen, denn der Mann kann sich nicht so intensiv um seine Favoritin kümmern und die Frau leidet unter den oben beschriebenen Maßnahmen.
In Gesellschaften, in denen Harems üblich sind, kommt es allerdings dazu, dass viele junge und sozial niedrig stehende Männer leer ausgehen und von der Fortpflanzung ausgeschlossen sind. Sogar Ersatzbefriedigungen sind nicht möglich, denn nirgends gibt es so strenge Vorschriften gegen nicht- oder vorehelichen Geschlechtsverkehr, Selbstbefriedigung und Homosexualität wie in diesen Gesellschaften. Die sexuelle Frustration einer großen Zahl junger Männer scheint also gewollt zu sein, möglicherweise weil diese dadurch für militärische Unternehmungen zur Verfügung stehen. Dass es im Christentum ähnlich strenge Vorschriften gibt, obwohl Polygamie nicht zugelassen ist, ist ein Erbe des Vorderen Orients, in dem Polygamie üblich war und aus dem das Christentum stammt. Vor der Einführung des Christentums gab es solche Vorschriften in unseren Breiten nicht.
Frauen wählen ihren Partner
Bei Menschenaffen lässt sich deutlich beobachten, dass es die Frauen sind, die ihre Partner wählen. Und wenn man sich das Werbungsverhalten der Menschen anschaut, kann man ähnliche Erscheinungen beobachten: die Männer bieten sich, zum Beispiel als Tanzpartner an, stellen sich möglichst positiv dar, und die Frauen akzeptieren sie oder lehnen sie ab. Dabei scheinen Männer attraktiv zu sein, die ein risikobetontes Verhalten zur Schau stellen, die Stärke, Reichtum und Reife zeigen. Männer also, die Frauen schützen können und ihnen genügend Ressourcen für sie und ihre zukünftigen Kinder bieten.
Männer begehren Frauen
Männer hingegen balzen Frauen an, die jung sind – die also noch viele Kinder haben können – und die schön sind, denn Schönheit ist ein Zeichen von Gesundheit. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern spielt also die sexuelle Auslese eine Rolle.
Es sieht so aus, dass Frauen wie Männer daran interessiert sind, möglichst effektiv ihre Gene weiterzugeben. Ist also die Genetik das einzige Kriterium der Partnerwahl? Sicher nicht, denn in einer komplexen Gesellschaft sind auch Tradition, Moral und Gesetze wichtig. Und Menschen haben auch noch andere Kriterien für die Partnerwahl, so zum Beispiel Intelligenz – obwohl diese die Möglichkeit der Weitergabe der Gene kaum verbessert.
Epigenetik und Kulturelle Genetik
In den letzten Jahren hat sich gezeigt, wie wichtig die Epigenetik ist. Epigenetische Einflüsse auf die Gene werden zwei bis sieben Generationen auf die Nachkommen weitervererbt. Sie ermöglichen es einem Individuum somit, kurzfristig und rasch auf Veränderungen der Umwelt zu reagieren, ohne die Genetik der Art zu beeinflussen. Haben zum Beispiel die Eltern eine Hungersnot mitgemacht, werden bei ihren Nachkommen Gene geschaltet, die sie zu besseren Futterverwertern machen. Also ist nicht nur die genetische, sondern auch die epigenetische Ausstattung extrem wichtig.
Menschen geben aber nicht nur Gene an ihre Nachkommen weiter, sondern auch ihre Geisteshaltung, Wesenszüge, Gesinnung, sowie ihr Wissen und ihre Fähigkeiten. Dies geschieht über Vormachen, Belehrung und Sozialisation. Den Vorgang der Übertragung von Wissen und Verhaltensweisen möchte ich „Kulturelle Genetik“ nennen. Die Kulturellen Gene können allerdings noch schneller verloren gehen als Epigene, können sich aber auch Jahrhunderte halten und, wenn eine Schrift vorhanden ist, sogar Generationen überspringen.
Leider haben Väter seit der industriellen Revolution diese Form der Vererbung selten zum Einsatz bringen können, da sie zum Arbeiten einen großen Teil des Tages außer Haus waren. Sie haben sich zwar weiterhin – unbewusst – um die Weitergabe ihrer Gene gekümmert, waren aber der Meinung, damit sei ein wesentlicher Einfluss auf ihre Nachkommen gesichert. Die Kulturelle Genetik wird aber umso wichtiger, je höher die kulturelle Stufe eines Lebewesens oder eine Gesellschaft ist.
Inzwischen haben einige Männer das erkannt und es ist ihnen weniger wichtig, ob die Kinder ihre Gene tragen, sofern sie nur deren kulturelle genetische Ausstattung wesentlich beeinflussen können. Sie möchten also an der Sozialisation und Erziehung der Kinder teilhaben, selbst wenn diese aufgrund von Adoption, künstlicher Befruchtung oder Patchwork-Familien nicht ihre leiblichen sind.
Das Paar und die Gesellschaft
Die Paarbildung wird aber nicht nur vom Paar selbst beeinflusst, daneben spielen Gesellschaft, Tradition und andere Einflüsse eine wichtige Rolle.
Kinder werden nicht nur von einem Paar, sondern auch von einer Gemeinschaft erzogen. Später haben sie auch Einfluss auf diese. Somit hat die Paarbildung auch einen indirekten Einfluss auf die Gemeinschaft, in der das Paar lebt. Paarbindung und soziale Bindungen konkurrieren also bei Frischverliebten miteinander. Die Familie und die Peer-Group empfinden es als Verrat, wenn sich das Paar zurückzieht und nur noch füreinander da ist. Denn Gesellschaft, Familie und Peer-Group versucht Einfluss auf die Paarbildung zu nehmen, sie sind davon überzeugt, ein Mitspracherecht zu haben. Das ist schon zu Beginn der Paarbeziehung eine heftige Belastung für das Paar, was aufgrund eines Loyalitätskonflikts zu ersten ernsthaften Auseinandersetzungen führen kann. Später hat es auch Auswirkungen auf die Kinder.
Diese Auswirkungen zu erkennen und zu bearbeiten, ist weder für das Paar noch für die Kinder einfach. Vermuten Sie bei sich eine solche Auswirkung, helfe ich Ihnen gerne, sie zu bearbeiten.