Der alltägliche Sadismus
Der Titel könnte auch heißen: Wie kommt das Böse in eine Partnerschaft? Ich erlebe es als Begleiter und natürlich auch als langjähriger Ehemann, dass ein Paar Dinge macht, die weder ihrer Partnerschaft noch ihnen selbst gut tun. Und dann fragt man sich als Außenstehender natürlich: Warum lassen die das nicht ganz einfach? Die Antwort ist auch einfach: Es geht nicht. Aggressionen in einer Partnerschaft erwachsen aus Enttäuschungen. Man hat sich anscheinend in ihm anderen enttäuscht und muss sich jetzt ent -täuschen. Es entsteht eine Art Enttäuschungswut, die von beiden Partnern jeweils für sich selbst als absolut berechtigt angesehen wird. Denn der andere müsste sich ja nur ein bisschen ändern, schon wäre alles gut.
Individualität und Nähe
Bei jeder Partnerschaft spielt ein Gegensatz eine wichtige Rolle, der Gegensatz zwischen dem Bedürfnis nach Individualität und dem nach Nähe. Und wenn zwischen beiden kein als angenehm empfundenes Gleichgewicht herrscht, kommt es zur Enttäuschung. Wir haben nicht gelernt, dass wir auf Distanz gehen müssen, um bei uns bleiben zu können. Es kommt zur Angst vor zuviel Nähe und gleichzeitig zur Angst vor Entfremdung. Dabei wird die Enttäuschung aus der Hoffnung genährt, dass es besser werden kann, man muss also ständig probieren, es besser werden zu lassen. Aber die Enttäuschung erntet, was sie befürchtet. Anders die Resignation: sie gibt nach einem Misserfolg Ruhe – allerdings ohne nach einer Lösung zu suchen.
Wir bekämpfen, was wir ersehnen
Und so giften sich die Paare also aus der Enttäuschung heraus an, meist nonverbal, aber deshalb umso wirkungsvoller. Dabei merken sie gar nicht, dass sie beim Anderen genau das bekämpfen, was sie in der Partnerschaft an ihn delegiert haben. Wir haben ihn zum Beispiel für die Nähe in der Beziehung verantwortlich gemacht und können nun einen daraus entstehenden Mangel an Autonomie nicht ertragen. Wir nehme dem Anderen übel, dass wir das das so dringend brauchen, was er uns gibt, wir werfen ihm unsere Bedürftigkeit vor. Wir hassen den anderen, weil wir ihn so sehr lieben, weshalb unser großartiges Autonomie-Konzept verloren geht. Er erfüllt so eine wichtige Funktion eines Partners: Er ist schuld. Deshalb können wir unschuldige Opfer sein.
Das Ende der Illusion
Früher hieß ist: „Verliebt, verlobt, verheiratet“. Heute heißt es eher: „Verliebt, gebunden, desillusioniert“. Denn natürlich machen wir uns über uns selbst, unseren Partner und unsere Partnerschaft Illusionen, wenn wir verliebt sind. Und wir müssen diese falschen Vorstellungen im Lauf der Beziehung aufgeben. Wichtig ist, wie wir mit deren Verlust umgehen: Durch Trennung (weil wir die Illusion nicht aufgeben können), durch Resignation (weil der Preis der Trennung zu hoch ist) oder durch Akzeptanz (weil der Andere anders ist als von uns gedacht).
Wer hat die Hosen an?
In einer Partnerschaft geht es immer auch um Macht – bewusst oder unbewusst. Wer bedürftiger ist, bedürftiger nach Liebe, Nähe oder auch materiell bedürftiger, hat weniger Macht und ist auch weniger attraktiv. Partnerschaftliche Bosheiten sind immer ein Symptom eines Übergangs zum Beispiel von Verliebtheit zum Alltag, bei dem das Machtgleichgewicht aus der Balance geraten ist.
Psychologen haben versucht, Merkmale der sadistischen Persönlichkeitsstörung festzulegen und sind zu folgenden Kriterien gekommen:
- Demütigung und Erniedrigung Anderer.
- Leugnen, dass man damit dem Anderen Schmerzen zufügt.
- Den Anderen in einer engen Beziehung in seiner Autonomie einschränken.
- Den Anderen durch Einschüchterung oder Erpressung dazu bringen, diese Einschränkungen zu akzeptieren.
Die Psychologen haben dann bemerkt, dass diese Verhalten ganz normale eheliche Spiele sind. Sie sind der alltägliche Sadismus, und so wurde diese Definition nie als sadistische Störung definiert.
Ein wichtiges Gebiet, auf dem diese Bosheiten – oft passiv aggressiv, geradezu unschuldig bösartig – ausgelebt werden, ist die Sexualität:
- „Du kannst mich leider nicht erregen!“ – Vordergründig sucht man bei sich selbst die Schuld, tatsächlich weist man dem Partner aber Unfähigkeit zu.
- Orgasmen vorspielen – und den Partner dafür verachten, dass er den Betrug nicht merkt.
- Nicht-Orgasmen vorspielen – man spielt also dem Partner vor, er könne einen nicht befriedigen.
- Angeblich nicht können – dabei aber durchscheinen lassen, dass man eigentlich nicht will.
- „Du bist so lieb und gibst Dir so viel Mühe!“ – leider bist Du aber unfähig.
- Beim Partner Zweifel an der eigenen Treue wecken.
- … und viele andere Verhalten mehr, das Feld der kleinen Gemeinheiten ist unerschöpflich.
Wie können wir unsere Beziehung verbessern?
- Eine Lösungsperspektive ist, den Partner aus der Verantwortung für unser eigenes Glück zu entlassen und diese selbst zu übernehmen: „Ich bin für mein Glück selbst verantwortlich!“
- Eine andere Lösung ist, zu akzeptieren, dass sowohl ich als auch der Partner und unsere Partnerschaft manchmal böse sind. Eine kleine Prise Bosheit kann sogar erotisierend sein.
- Beide Partner sollten akzeptieren, dass eine Partnerschaft, die „gut genug“ ist, besser ist als eine, die „gut“ ist, denn um letztere braucht man nicht mehr zu kämpfen.
Fazit
Die meisten Menschen sind nicht nur gut und die meisten Partnerschaften nicht optimal. Das nach der ersten Zeit der Verliebtheit zu akzeptieren, ist nicht einfach, aber notwendig. Es gibt allerdings auch Partnerschaften, die so verfahren sind und bei denen die Partner in ihre gegenseitigen kleinen und großen Gemeinheiten so verstrickt sind, dass sie alleine nicht herausfinden.
In beiden Fällen begleite ich Sie gerne, damit Sie einen Weg finden, doch noch zu einer Partnerschaft zu kommen, die „gut genug“ ist.
Dieser Blog wurde durch einen Vortrag des Sexualtherapeuten Ulrich Clement angeregt.