Die Aufkündigung des Ehevertrags
Ich erlebe bei Paarcoachings immer wieder, dass ein Partner – fast immer die Frau – drauf und dran ist, die Partnerschaft zu beenden, während der andere Partner überhaupt noch nicht gemerkt hat, wie schlecht es um die Partnerschaft steht. Woher kommt das?
Direkt zu beginn ein „Disclaimer“ wie es auf Neudeutsch heißt: Ich weise hier Männer und Frauen bestimmte Eigenschaften zu. Das stimmt so natürlich nicht – Männer und Frauen sind unterschiedlich und verhalten sich zum Teil ganz anders. Aber oft verhalten sich Menschen gendertypisch.
Man könnte nun einfach sagen, dass Männer Gefühlstrottel sind (siehe meine 3-teilige Blog-Serie über Männer), die nicht merken, was in ihren Beziehungen los ist. Aber das greift zu kurz, oft kennen sie deren Mängel recht gut, aber sie bewerten sie anders als Frauen. Woher das kommt? Nun Freundschaften unter Frauen sind anders als die unter Männern, und wenn man nach diesen unterschiedlichen Beziehungsmustern schaut, erkennt man möglicherweise den Grund für die gendermäßigen Unterschiede in der Bewertung von Beziehungen.
Frauen- und Männerfreundschaften
Die meisten Frauen haben eine „Beste Freundin“, die ihnen oft wichtiger ist als der eigene Ehemann. Diese besten Freundinnen verlangen voneinander, 100%-ig und in jedem Bereich zu harmonieren. Klappt das nicht mehr, endet diese Freundschaft mit einem Riesenknall und wird oft sogar zu einer giftigen Feindschaft, denn man kennt sich ja gut und weiß, wo die andere verletzlich ist.
Männer hingegen haben selten einen „Besten Freund“. Das heißt nicht, dass sie keine Freunde haben. Sie haben einen besten Freund fürs Fußballgucken, einen anderen für den Sport, einen dritten für das Angelhobby, einen vierten als Schachpartner, einen fünften fürs Büro und so weiter. Dabei ist es ihnen egal, sollte der Angel-Freund ansonsten ein ziemlicher Idiot ist, solange man mit ihm gut angeln gehen kann. Sie würden mit ihm auch nie über Fußball reden, denn sie wissen, da würden sie sich vielleicht in die Haare kriegen. Also schweigt man über Fußball, Philosophie und Politik, sondern geht angeln und diskutiert über den besten Köder für Schleien und die neueste Super-Spule.
Und jetzt kommen eine Frau und ein Mann zusammen, mitsamt ihrer unterschiedlichen Erfahrungen und Verhaltensweisen, was Freundschaften betrifft. Und beide projizieren ihre jeweiligen Erfahrungen auf ihre Beziehung. Am Anfang, im Rausch der Verliebtheit, fällt das noch nicht auf. Erst später wird das deutlicher, und es nervt, auch weil sie sich nicht vorstellen können, dass der Partner so unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben haben kann.
Die Konsequenz für die Beziehung
Wie gesagt, eine Frau verlangt von einer Beziehung 100%-ige Harmonie, ein Mann hingegen kann durchaus damit leben, wenn sich die Harmonie nicht in allen Bereichen einstellt. Wenn sich die Frau nicht für Sex begeistern kann, findet er das zwar schade, findet aber nichts dabei, sich dann eine Sex-Freundin zuzulegen. Warum auch nicht, sein Angelfreund findet ja auch nichts dabei, wenn er mit seinem Sportfreund für den nächsten Halb-Marathon trainiert. Warum sollte er auch auf Sport verzichten, nur weil sein Angelfreund mit Sport nichts am Hut hat?
Die Frau sieht das natürlich völlig anders. Auch wenn sie keine Lust auf Sex hat, soll der Mann den sich nicht woanders holen. Nicht, weil sie ihm die Freude vermiesen will, sondern weil das ihrer Vorstellung von Harmonie widerspräche. Auch wenn sie jedes Mal Kopfweh bekommt, wenn er Ansprüche stellt – und psychosomatische Kopfschmerzen sind genauso schlimm wie organisch bedingte – er sollte Verständnis für sie haben.
Und ihr reicht auch nicht, wenn sie mit ihrer besten Freundin über ihre Gefühle redet, sie will das auch mit ihrem Partner tun, das gehört zum „Gesamtpaket“ dazu. Dem Mann hingegen kann es durchaus reichen, wenn sie zwar wenig miteinander reden, aber ansonsten ein tolles, eingespieltes Team sind, in dem jeder seine Aufgaben hat, die er gern erfüllt. Sie sehen, das führt zu dem Zustand, der im ersten Satz beschrieben wurde.
Und was jetzt?
Das führt jetzt zu drei verschiedenen Verhaltensweisen:
- Ein Partner akzeptiert, dass es bestimmte Bereiche gibt, in denen das Paar nicht harmoniert. Die aber sind ihm nicht wichtig genug – im Vergleich zu anderen, in dem es passt – als dass er wirklich unzufrieden wäre. Trotzdem nagt ein bisschen Unzufriedenheit, wie ein Stein im Schuh.
- Die nicht harmonischen Bereiche sind einem Partner wichtig genug, dass er die Partnerschaft abbricht, durch Trennung oder Scheidung.
- Die nicht harmonischen Bereiche würden zu einer Trennung führen, wenn es nicht andere Gründe gäbe – Kinder, Geld, Religion – die diese unmöglich macht. Der unzufriedene Partner geht in die innere Kündigung. Das führt aber immer wieder zu Streit und Unzufriedenheit und auf die Dauer zu psychosomatisch bedingten Krankheiten.
All diese Verhaltensweisen sind unbefriedigend. Man könnte denken, dass eine Scheidung alles besser macht, aber viele Partner schleppen die Verletzungen mit in die nächste Partnerschaft, denn beim nächsten Partner wird eben nicht alles anders. Und eine innere Kündigung ist auch keine Lösung.
Eigentlich sollte man offen sagen, was nicht passt, aber das ist schwer, man hat es schon ein paar Mal probiert, aber der/die Andere hat nicht zugehört. Ohne die Hilfe eines neutralen Dritten, den beide akzeptieren, geht es nicht. Ein guter Freund oder die beste Freundin sind dafür genau so wenig geeignet wie Familienangehörige. Vor allem, und das ist ganz wichtig, ziehen Sie die Kinder nicht in diese Probleme hinein. Die fühlen sich vielleicht geehrt, wenn sie hören: „Du bist mein lieber kleiner Mann, der einzige, der mich versteht!“, oder: „Du bist ein vernünftiges Mädchen, ganz anders als Deine Mutter!“. Aber sie sind überhaupt nicht geeignet, diese Aufgabe zu erfüllen. Ich habe genug Klienten, die auf diese Art und Weise parentifiziert worden sind und dadurch Schwierigkeiten haben.
Fazit
Was also tun? Vielleicht haben Sie nicht gemerkt, woher ihr Unbehagen kommt, und außer „Er/Sie redet nicht mehr mit mir!“ können sie es auch kaum benennen. Dass ein Paar, das schon beinah auseinandergeht, noch produktiv und lösungsorientiert miteinander reden kann, ist selten. Sie sollten sich also professionelle Hilfe suchen, jemanden, der es ihnen ermöglicht, miteinander zu reden anstatt übereinander. Ich helfe Ihnen gern, auch wenn ich manchmal nur bei Ihnen sitze und Ihrem (Streit-) Gespräch lausche. Aber ich verspreche Ihnen, ich höre genau zu, und ich stelle Fragen, wenn Ihnen etwas unklar ist. Denn eigentlich wollten Sie ja einmal zusammenbleiben, oder?
Weiterführende Lektüre: Clemens von Luck, „Innere Kündigungen in Beziehungen“