Äußere Systeme und ihre nonpersonalen Elemente
Das Modell der inneren Persönlichkeitsanteile eines Menschen ist abgeleitet von der systemischen Betrachtung einer Gruppe von Menschen, also einer Familie, einer Arbeitsgruppe, einer Firma, eines Vereins oder gar einer Nation. Wie in diesen äußeren Systemen die einzelnen Personen, wirken in den inneren die Persönlichkeitsanteile zusammen. Das äußere wie das innere System besteht aus seinen Elementen und deren Verbindungen untereinander.
Introjekte
Zum Modell des inneren Systems gehören nun auch Elemente, die keine direkten Persönlichkeitsanteile sind, zum Beispiel die sogenannten Introjekte. Diese sind Gedanken, Gefühle, Erinnerungen und Verhaltensweisen, die ein Mensch unverarbeitet von anderen übernommen hat. Die Introjekte haben keine wirkliche Macht, trotzdem können sie in bestimmten Situationen exekutiv werden. Die Person denkt und handelt dann wie das Introjekt („Du benimmst dich wie dein Vater!“). Introjekte haben nur die Macht, die die Person ihr zugesteht. Sie werden zwar oft mit eigenständig handelnden Anteilen verwechselt, sind aber eigentlich nur in der Vorstellung vorhanden, wobei sie zum Teil sogar nicht mit der erlebten, sondern nur mit der erinnerten Vergangenheit übereinstimmen. Wir stellen uns nun die Frage, ob es auch in den äußeren Systemen Introjekte, also nonpersonale Elemente, gibt.
Introjekte in äußeren Systemen
Bei einem inneren System haben wir eine einigermaßen klare Vorstellung, was Introjekte sind: Personen und Ereignisse aus der erinnerten Vergangenheit. Bei äußeren Systemen hingegen wurde meines Wissens der Begriff Introjekt bisher nicht hinreichend definiert. Wie können wir uns diese also vorstellen?
Beim System einer Familie ist das noch relativ einfach. Hier sind es überkommene Verhaltens- oder Denkweisen, die zum Wesen der Familie gehören und deren Nichtbefolgung zum Ausschluss führen kann, also etwa: „Wir Müllers sind fleißig!“ Aber auch Erinnerungen an Ahnen können eine Rolle spielen, wie: „Der erste Sohn übernimmt in Hof!“ Es sind Handlungsanweisungen, die jedes Mitglied dieser Familie übernimmt, meist ohne sie zu hinterfragen, denn der Ausschluss aus dem System wäre zu schmerzhaft. Auch bei größeren Systemen gibt es solche Introjekte, bei einer Nation zum Beispiel sind das Zuschreibungen von innen („Wir Deutsche sind pünktlich!“) oder von außen („Deutsche tragen Lederhosen und Dirndl!“) Die hier genannten Beispiele sind relativ harmlos, es gibt andere, die sogar zu Kriegen geführt haben („Frankreich ist unser Erbfeind!“)
Bei großen Systemen bestehen die Introjekte aus überlieferten Vorstellungen über dieses System, also bei Nationen das sogenannte „nationale Erbe“. Aber auch bei Firmen oder Vereinen gibt es solche tradierten Werte, deren Entstehung im Dunklen liegt. Es kann sogar sein, dass den Mitgliedern des Systems diese Introjekte noch nicht einmal bewusst sind, obwohl sich alle an sie halten. So hat die Kirche den Westeuropäern eine Abscheu vor Pferdefleisch eingepflanzt, denn das Essen von Pferdefleisch gehörte zu einer heidnischen, kultischen Handlung. Die Herkunft dieses Tabus ist den meisten nicht bewusst, trotzdem isst kaum jemand Pferdefleisch.
Eine zu starre Befolgung eines Introjekts kann sogar zum Zusammenbruch des Systems führen. So kann eine Firma nur dann Erfolg haben, wenn sie alle Beteiligten wirklich als zum System gehörend betrachtet. Also nicht nur die angestellten Mitarbeiter, sondern auch freie Mitarbeiter und Aushilfen, sowie Kunden, Zulieferer und sogar die Hausbank. Ist es in einer Firma unbewusste Tradition, sich nicht mit dem „schnöden Mammon“ abzugeben, sondern nur Produkte höchster Qualität herzustellen, egal was es kostet, wird sie auf Dauer keinen Erfolg haben.
Bei großen Systemen sind aber nicht nur tradierte Verhaltensweisen Introjekte, sondern auch Gesetze, die gemeinsam erinnerte Geschichte und Anderes. Ja sogar die Sprache – man denke an das Rotwelsch – kann eine Gruppe definieren und ist als Introjekt zu verstehen. Nonpersonale Elemente spielen also auch in äußeren Systemen eine große Rolle.
Weitere nonpersonale Elemente
In inneren Systemen redet man auch von Wächtern und Brandstiftern, die zum Erhalt des Systems tätig werden, wenn Handlungen der Person diese zu gefährden scheinen. Gibt es solche Elemente auch in großen, äußeren Systemen? Ich denke, dass diese auch dort eine wichtige Rolle spielen.
So haben Nationen, wenn sie aufgrund innerer Spannungen auseinanderzubrechen drohten, einen Krieg begonnen und durch die äußere Bedrohung den inneren Zusammenhalt wiederhergestellt. Niemand wollte bewusst diesen Krieg, viele fürchteten ihn sogar und lehnten ihn ab, aber trotzdem war die Nation plötzlich im Kriegszustand. Hier war ein überpersonaler Brandstifter tätig, der die Katastrophe des Krieges der Gefahr des Auseinanderfallens der Nation vorzog. Oft sind diese Nationen dann durch diesen Krieg, den sie selbst vom Zaun gebrochen hatten, zusammengebrochen.
Auch bei einer Firma kann man das beobachten. Plötzlich beginnt aus nichtigem Anlass ein Arbeitskampf, weil die bisherige Identität der Firma zum Beispiel durch den Wechsel der Produktpalette gefährdet ist. Der vordergründige Anlass ist ein ganz anderer, dennoch wird der Kampf mit großer Härte geführt. Kaum jemand ist sich des wirklichen Grundes bewusst, denn ein überpersonaler Brandstifter ist tätig geworden und gefährdet den Bestand des Systems, um dessen Identität zu wahren.
Auch Wächter sind durchaus zu beobachten. So kann zum Beispiel ein Mitglied einer Familie aus dieser ausgeschlossen werden, weil sie sich nicht in deren komplexes Regelwerk einfügt. Der Ausschluss wird von niemandem bewusst herbeigeführt, denn das plötzlich unerwünschte Mitglied wird durch einen überpersonalen Wächter aus der Familie heraus gedrängt. Es wird bei Familienfeiern vergessen, es wird „zufällig“ über Familienereignisse nicht mehr informiert, und nach einiger Zeit erinnert sich auch niemand mehr an diese Person. Der Wächter hat um den Preis des Ausschlusses einer Person und damit des Schrumpfens des Systems die Familienidentität gewahrt.
Wer entscheidet über nonpersonale Elemente?
Auch nonpersonale Elemente eines Systems sind wichtig für die Existenz dieses Systems, aber niemand kann ein Introjekt, einen Wächter oder einen Brandstifter in ein System implantieren oder daraus entfernen. Es gab niemanden der sagte: „Ab sofort ist Frankreich nicht mehr unser Erbfeind!“ Trotzdem wird das heute kaum ein Deutscher behaupten, obwohl diese Aussage früher zur Nationalidentität gehörte. De Gaulle und Adenauer hätten niemals Frieden zwischen Frankreich und Deutschland schaffen können, wenn die beiden Nationen nicht als Systeme das Introjekt Erbfeind abgelehnt hätten.
Fazit
Nicht die Mitglieder eines Systems bestimmen, wer oder was, welche Elemente, Introjekte, Wächter oder Brandstifter zum System gehören. Ein System definiert seine Grenzen selbst und wird durch seine Grenzen definiert. Es ist durch einzelne Menschen weder zu definieren noch zu leiten. So werden die nonpersonalen Elemente eines Systems nicht durch bewusste Handlungen von Personen definiert und integriert, sie sind gewachsene Strukturen, die unbewusst oder unterbewusst entstehen und vergehen.