Impact Bias
Ein Bias ist eine kognitive Verzerrung, also ein Denk- und Wahrnehmungsfehler, zu dem wir aufgrund früherer Erfahrungen oder unserer Lebensumstände kommen. Man darf einen Bias nicht mit einer Fallacy verwechseln, denn dieser ist logischer Fehlschluss, der oft als Mittel der Propaganda bewusst missbraucht wird. Ein Bias hingegen wird nicht absichtlich verwendet, sondern tritt meist untergewusst auf und führt denjenigen, der ihm unterliegt, selbst in die Irre.
Der im Titel genannte Impact Bias beschreibt die Beobachtung, dass wir oft schlecht darin sind, Auswirkungen äußerer Einflüsse – seien sie positiv oder negativ – auf unsere Zufriedenheit abzuschätzen. In der Regel überschätzen wir diese. Diese Unfähigkeit führt zu unerfünschten Unsicherheiten.
Unsicherheiten
Alle Menschen wollen Unsicherheit vermeiden, deshalb bilden sie in unsicheren Zeiten Gruppen, deren einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie der Unsicherheit entkommen möchten. Sie wollen nicht alleine sein, und so war der Kampfruf der sogenannten Coronaleugner: „Wer sind wir?“ – „Viele!“ obwohl sie nur eine winzige Minderheit der Bevölkerung waren. So trafen sich sogenannte Querdenker, Rechtsextreme, Esoteriker, Naturheilkundler und die an sich nette Nachbarin, die wütend war, weil sie ihre Mutter im Altersheim nicht mehr besuchen durfte, bei den Demonstrationen. Sie waren so nicht mehr allein, und somit weniger verunsichert.
Aber damit das „Wir“-Gefühl wirklich greift, muss es auch ein „Die da“ geben, und diese Rolle wurde Regierungsvertretern, Virologen, Medien und allen, die nicht mitmarschieren wollten, zugewiesen. Die Anderen sind eine Bedrohung, sie schweißen die Demonstranten zusammen und werden von ihnen durch Vorurteile ausgegrenzt. Das Gleiche passiert im Augenblick mit den Grünen, denn sie wollen etwas gegen die Bedrohung durch die Klimaerwärmung unternehmen und erinnern damit die Anderen immer wieder an deren Existenz. Nicht umsonst werden sie deshalb ganz persönlich bekämpft, nicht seine Meinung. Denn sie, und nicht ihre Meinung, gefährdet die Gruppe der Klimaleugner.
Unsicherheit überfordert uns: Ein wahrgenommener Kontrollverlust trennt uns von einer Zukunft, die uns hoffnungsvoll und sicher vorgekommen ist. Die Verlustangst baut sich zu Depressions- und Angststörungen auf. Da wir aufgrund des Impact Bias die tatsächliche Auswirkung auf unser Lebensglück nicht abschätzen können, tun wir alles, um die Kontrolle zurückzuerlangen. Sogar bei der Brexit-Bewegung war eine der Hauptparolen: “Take back Control!“
Bedrohung
Eine Unsicherheit wird von uns als Bedrohung wahrgenommen, allerdings erst dann, wenn diese hier und jetzt auftritt und uns selbst oder uns Nahstehende betrifft.
Es gibt zwei Möglichkeiten für Politiker, etwas gegen diese, aber auch gegen jede andere Bedrohung zu unternehmen:
- Die Gefahr leugnen, eine „Weiter-So“-Politik betreiben und, als wäre nichts geschehen, Bierzelt- und Kirchweihveranstaltungen besuchen. Dabei müssen unterschwellige Ängste auf die Anderen projiziert werden.
- Maßnahmen gegen die Bedrohung ergreifen. Die Wirkungen dieser Maßnahmen sind allerdings schwer abzuschätzen, denn eine komplexe Zukunft vorherzusagen ist kaum möglich. So sind diese Maßnahmen der Bevölkerung schwer plausibel zu machen.
Unsicherheit in der Politik
Unsichere Politiker kämpfen um ihr kurzfristiges Überleben. Getrieben von ihrer Angst vor Machtverlust und Wiederwahl, haben sie den Blick für Lösungen verloren. Sie hören auf, über die Bedeutung von Fakten zu reden und diskutieren über deren Existenz, was einen demokratischen Diskurs unmöglich macht. Sie wiederholen wieder und wieder die selben Fakes, in der nicht unberechtigten Hoffnung, den Wählern dadurch ein Gefühl der Sicherheit zu geben, dass diese scheinbar Vertrautes immer wieder hören.
Die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts ist ein gutes Beispiel, wie sich eine Nation aus Unsicherheit, generiert aus der Angst vor dem Fremden und unerfülltem Nationalismus selbst abschafft:
- Deutschland war vor dem ersten Weltkrieg noch sehr jung, seine Existenz kaum gesichert und jede andere Nation wurde als Bedrohung gesehen, sodass die Idee eines Krieges, der die Nation zusammenschweißt, nahe lag. Jede Maßnahme gegen die Zentrifugalkräfte hätte deren Existenz offensichtlich gemacht.
- Vor dem zweiten Weltkrieg haben die Nationalsozialisten es geschafft, die Unsicherheit, die aus dem Verlust des ersten Weltkriegs, den Hungerjahren und der Hyperinflation erwachsen war, mit einen Fremdenhass (gegen Juden, Zigeuner, Schwule, Kommunisten) zu kompensieren. Darüber hinaus wurde „Wir“-Gefühl in Form eines übersteigerten Nationalismus generiert. Die eigentlichen Ursachen der bestehenden Probleme wurden seit der Niederlage im ersten Weltkrieg durch die Dolchstoßlegende vernebelt.
So hat die Unsicherheit, die mit untauglichen Mitteln bekämpft wurde, aus einem Staat, der auch in Wissenschaft und Technik Weltgeltung hatte, innerhalb von gut 30 Jahren einen zweigeteilten, in Ruinen liegenden Staat gemacht, von dem kein Hund mehr ein Stück Brot nehmen wollte. Wir haben uns wieder aus dem Dreck herausgewühlt, aber ich sehe diese Gefahr wieder auf uns zu kommen. Heute ist es die Unsicherheit durch die Angst vor dem Kontrollverlust durch den Klimawandel und den durch ihm notwendigen Veränderungen, die uns Panikreaktionen auch und vor allem unter den Politikern beschert hat und weiter bescheren wird. Korona hat die Demokratie in Deutschland erschüttert, der Klimawandel wird sie abschaffen, denn wir überschätzen die negativen Auswirkungen der durch ihn notwendigen Veränderungen auf unsere Zufriedenheit und unterschätzen den Sicherheitsgewinn durch sie. Der Impact Bias gefährdet somit die Existenz Deutschlands, so wie wir es kennen.