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Ich liege auf dem Rücken im Gras, über mir blauer Himmel. Ich bin alleine. Es ist ganz still, noch nicht einmal ein Vogel singt. Ich kann nicht weit sehen, das Gras ist zu hoch. Und ich kann den Kopf nicht heben.

Ich schaue an meinem Körper herunter, so gut es geht. Ich habe meine gute weiße Uniform an, aber die ist verdreckt, zerrissen und ganz blutig. Wie habe ich mich nur so eingesaut? Und wie soll ich das wieder in Ordnung bringen? Dann sehe ich, dass die linke Schulter kaputt ist, und die Hüfte, und das Knie hat auch etwas abbekommen. Jedenfalls wird mich niemand schimpfen, dass die Uniform schmutzig ist. Da kann ich ja nichts dafür. Mir tut nichts weh, ich habe nur so ein wattiges Gefühl und ich bin ganz schwach.

Ich versuche mich zu erinnern: Ich bin wie immer zusammen mit dem Trommler zwischen den Männern marschiert und habe die Querpfeife geblasen. Aber diesmal sind wir auf eine Reihe anderer Soldaten zumarschiert, blaue Uniformen, wenn ich mich recht erinnere, und die haben auf uns geschossen. Und die Männer haben auf die anderen geschossen. Marschieren, Anhaltern, in Stellung gehen, schießen, laden, weitermarschieren. 1000 mal geübt, es klappt, ohne das einer nachdenken muss. Damit niemand aus dem Tritt kommt, sind wir da, der Trommler und der Pfeifer.

Wir Musiker haben noch nie geschossen, wir sind auch für die schweren Büchsen und den harten Rückschlag zu klein. Wir sind ja erst 10 und 12 Jahre alt, so etwa. Wer stark und alt genug für eine Büchse ist, der pfeift und trommelt nicht, der schießt. Aber auch wenn wir nicht schießen, wir sind immer dabei, ganz vorne. Und weil wir auf niemanden schießen, schießt auch keiner auf uns, haben sie uns gesagt. Das war eine Lüge, glaube ich.

Der Trommler ist zuerst getroffen worden, ich habe die Kugel auf seinen Körper aufklatschen gehört. Er hat kurz gehustet, ist dann einfach in die Knie gegangen und hingefallen und liegen geblieben. Ich bin weitermarschiert und habe noch lauter gepfiffen. Ich musste ja jetzt den Takt alleine halten.

Ich fange an zu frieren und fühle mich einsam. Meine Kompanie war in den letzten 2 Jahren mein Zuhause, sie hat mich mit Kleidern und Essen versorgt, besser als bei Muttern, da habe ich oft gehungert und hatte nur abgetragene Kleider. Und ich musste hart arbeiten, wir waren ja so arm. Trotzdem habe ich manchmal noch Heimweh.

Aber beim Militär war die Arbeit leicht, nur Putzen und Marschieren und Pfeifen, natürlich. So bin ich gerne mit dem Werber gegangen, als sie mich für ein Handgeld weggeschickt haben. Die Mutter war nicht da, die war auf dem Feld, aber die hätte auch nichts machen können, und sie war bestimmt froh, einen Esser weniger versorgen zu müssen.

Ich weiß nicht, wo wir sind. Der Spieß hat es uns gesagt, aber ich hatte keine Ahnung, wo das ist und so habe ich es wieder vergessen. Ich weiß nicht, für wen wir marschiert sind und gegen wen, und warum. Ist mir auch egal, was macht das schon für einen Unterschied, das Marschieren und das Pfeifen bleibt gleich. Und das Sterben auch, das weiß ich jetzt.

Schnaps hat es gegeben, heute morgen, sogar für mich eine viertel Ration. Das gibt Haare auf der Brust, hat der Spieß gesagt, und dabei gelacht. Das Zeug hat mir nicht geschmeckt, aber die Männer waren ganz wild darauf. Ich habe es tapfer runtergewürgt, aber die Haare, die wachsen mir jetzt wohl nicht mehr.

Wo sind die Anderen? Ich muss wohl lange ohnmächtig gewesen sein, sie müssen schon weit weg sein, ich höre sie nicht mehr. Oder ist die Schlacht zu Ende? Eben war es noch so laut, das Knattern der Büchsen, das dumpfe Wummern der Geschütze, das Schreien und Fluchen der Männer, die Kommandos der Offiziere, das Rollen einer entfernten Kavallerie¬attacke. Und mein Pfeifen, das habe ich am besten gehört. Wo wohl die Pfeife hin ist?

Ich habe gerne auf der Pfeife gespielt, ich habe mehr als die drei vorgeschriebenen Lieder gekonnt, mir ist das leicht gefallen. Der Trommler war schlimmer dran, der ist immer wieder aus dem Takt gekommen und hat dafür Kopfnüsse bekommen. Ich bin nur ganz selten gehauen worden, meistens, weil ich mir die Uniform schmutzig gemacht hatte. Zu Hause habe ich mehr Prügel bezogen, aber ich konnte nicht besser arbeiten, ich hab mich wirklich angestrengt, aber das hat mir keiner geglaubt.

Was mache ich eigentlich hier? Ich sollte hier nicht liegen. Ich weiß doch gar nicht, worum es geht. Und ich habe niemals auf jemanden geschossen. Der Spieß hat schon viele Bataillen mitgemacht, und der hat auch schon viele erschossen, aber der hat alles überlebt. Er hat gesagt, keiner würde auf mich schießen, aber das stimmt nicht, alle haben geschossen, und vor lauter Qualm hat keiner mehr den Gegner gesehen. Die Anderen haben mich bestimmt auch nicht mehr gesehen, aber sie haben auch geschossen.

Und die Kartätsche, die war bestimmt auch nicht für mich bestimmt. Das war ein Versehen, genau, denn den Pfeifer erschießt man nicht, der schießt ja auch nicht, warum sollte einer ihn erschießen, wo er doch so gut pfeift. Aber das Blei hat mich trotzdem getroffen, es hat mich von den Füßen gerissen. Und jetzt liege ich hier, schaue wie das Blut aus meinem Körper heraussickert. Und mir ist kalt, ich zittere, meine Zähne klappern.

Ich sehe in den klaren Himmel über mir, und ich spüre die kühle Erde unter mir. Und jetzt höre ich auch eine Lerche, wie sie jubelnd in den Himmel steigt. Das ist schön, aber sie singt nicht für mich. Lerchen singen für die Lebenden.

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