Die Aggressivität unreifer Männlichkeit
Silvester gab es wie jedes Jahrwieder brennende Barrikaden und Einsatzkräfte, die von Horden junger Männer mit Flaschen und Böllern angegriffen werden. Woher kommt die hohe Gewaltbereitschaft vor allem von jungen, aber auch unreifen erwachsenen Männern?
Männlichkeit muss verdient werden
Männlichkeit wird Männern nicht automatisch zugeschrieben, sie müssen sie sich verdienen. Und es ist leicht möglich sie in den Augen Anderer wieder zu verlieren. Unmännliches Verhalten wird schnell diagnostiziert und dem Mann dann die Geschlechtsidentität abgesprochen. Die Ermahnung „Sei ein richtiger Mann“ ist ein Zeichen dafür dass man etwas als männlich angesehenes tun muss, um als männlich gesehen zu werden. Frauen haben solche Probleme selten, die Gesellschaft verlangt keinen besonderen Beweis ihre Weiblichkeit. Und auch wenn diese eine Frau abgesprochen wird, verliert sie dadurch nicht ihre Identität. Sie muss sich ihr Bild als Frau nicht verdienen.
Es sind vor allem junge Männer in prekären Situationen, deren Männlichkeit in den Augen der Umwelt, aber auch in der eigenen Sicht gefährdet ist. Ältere Männer haben ein stabileres Selbstbild, junge Männer haben sich noch nicht dadurch bewiesen, dass sie zum Beispiel in der Lage sind eine Familie zu ernähren. Können sich junge Männer durch ihren sozialen Status beweisen, oder besteht die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Zukunft einen hohen Status haben werden, ist es für sie nicht nötig, Gewalt auszuüben. Ein hoher sozialer Status gilt per se als männlich.
Die Schwierigkeiten männlicher Schüler
Auch die Schwierigkeit, die männliche Schüler in der Schule haben, ist darauf zurückzuführen, dass sie sich von der vorwiegend weiblichen Lehrerschaft in ihrer männlichen Rolle unterdrückt fühlen. Ein männlicher Lehrer wird eher als Vorbild akzeptiert, da dessen Überlegenheit das eigene männliche Selbstbild nicht gefährdet. Auch die meist von Männern ausgeübte häusliche Gewalt ist oft auf ein Unterlegenheitsgefühl der Männer gegenüber ihren PartnerInnen zurückzuführen. Ist der Mann aufgrund seines geringen Einkommens nicht in der Lage, seine Familie gut zu versorgen, ist er der Frau intellektuell und verbal unterlegen oder hat er gar Schwierigkeiten mit der Potenz, leidet sein Selbstbild als „richtiger“ Mann. Er versucht dieses durch Aggressivität wiederherzustellen, denn diese ist dann das für ihn einzig denkbarer erfolgversprechende Mittel.
Männer und Kriminalität
Den jungen Männern ist es auch nicht wichtig, ob der Mainstream der Gesellschaft sie als männlich anerkennt, die Anerkennung durch die Peer Group reicht aus. So verhalten sich junge Männer aggressiv und tun Dinge, die ausgesprochen selbstgefährdend sind, um ihre Peer Group zu beeindrucken und von der eigenen Männlichkeit zu überzeugen. Das reicht von Alkoholexzessen bis zu kriminellen Verhalten, denn ein Gefängnisaufenthalt wird in einigen Bevölkerungsschichten als Beweis der Männlichkeit gesehen. So sind unsere Gefängnisse voller Männer, Frauen werden selten kriminell.
Dazu gehört auch eine aggressive Homophobie, denn gleichgeschlechtliche Beziehungen werden als extrem unmännlich empfunden. Junge Männer, die sich ihre Geschlechterrolle noch nicht ganz sicher sind, müssen somit beweisen, nicht homosexuell zu sein. Ein solcher Beweis ist Aggressivität gegen Schwule.
Missverstandener „Respekt“ und „Ehre“
Junge Männer sind auch deshalb aggressiv, weil sie sich dadurch „Respekt“ erhoffen. Sie haben nicht verstanden dass man sich echten Respekt nicht durch Gewalt, sondern durch stetiges authentisches und soziales Handeln verdient. Sie missverstehen Respekt als Angst der Umwelt vor ihnen. Echter Respekt hingegen bleibt auch dann erhalten, wenn die respektierte Person alt oder schwach oder nicht Angst einflößend ist. Ein Mann, den man echten Respekt zollt, ist männlich, der unechte Respekt zeigt die Unreife der eigenen Männlichkeit.
Ein weiteres Zeichen von Unsicherheit ist es, wenn die eigene „Ehre“ vom Wohlverhalten der Frauen, Töchter oder anderer weiblicher Mitglieder der Familie abhängt. Der Mann sieht bei Unbotmäßigkeiten der Frauen sein Bild in der Öffentlichkeit gefährdet, und er glaubt es nur durch möglichst öffentlich ausgeübte Gewalt gegenüber diesen Frauen wiederherstellen zu können. Nur wenn die Umgebung sieht, dass er die Frauen im Notfall auch durch Gewalt bis hin zum Mord beherrscht, ist die „Ehre“ wiederhergestellt, denn die Familie hat bewiesen, dass ihre Männer „richtige Männer“ sind.
Was tun?
Populistische Pöbeleien helfen nicht gegen dieses Verhalten, die Einstellung der Gesellschaft zur Männlichkeit muss sich insgesamt ändern. Die strengen Anforderungen, die an Männer gestellt werden, dürfen nicht mehr akzeptiert werden. Nur wenn die Botschaft überall angekommen ist, dass auch Schwäche von Männern in Ordnung sein kann, können vor allem junge Männer das Problem lösen, das sie mit ihrer brüchigen Männlichkeit haben. Das unsoziale und sexistische Verhalten dieser Bevölkerungsgruppe und die dadurch verursachten gesellschaftlichen Probleme verschwinden dann von ganz alleine. Das hat allerdings einen gravierenden Nachteil: die Gesellschaft kann diese Männer dann nicht mehr so leicht als willige Soldaten oder (Selbstmord-)Attentäter missbrauchen. Sie sind nicht mehr bereit, ihr Leben zu opfern, nur um ihre Männlichkeit in den Augen Anderer zu beweisen.