Ein Junge wird zum Mann
Um zum Mann zu werden, ist es für einen Sohn unbedingt erforderlich, mit seinem Vater ins Reine zu kommen. Das sollte eigentlich in den frühen 20’ern passieren, da heute der Vater aber im Leben seiner Kinder kaum noch vorkommt, gelingt das oft erst später. Doch es ist nie zu spät dafür, selbst wenn der Vater längst tot wäre.
Ins Reine kommen heißt nicht, alles zu vergessen, was zwischen Vater und Sohn nicht funktioniert hat, sondern es zu verarbeiten. Der Sohn reflektiert dabei, was passiert ist, und welche Gefühle dabei auftraten. Er beschäftigt sich mit dem Lebenslauf des Vaters und kann so erkennen, warum sein Vater so und nicht anders gehandelt hat. Der Sohn darf sich dabei auch daran erinnern, was gut war, wo er von seinem Vater Ressourcen bekommen hat, die ihm im Leben helfen.
Die Aufgabe eines Vaters ist es, seinen heranwachsenden Sohn aus den Armen seiner Mutter zu lösen und ihm zu zeigen, was ein Mann ist. Nur so kann der Sohn später mit Frauen gleichberechtigt umgehen, sich also weder vor ihnen ducken noch sie unterdrücken zu müssen. Er wird er selbst, er ist von Frauen nicht mehr abhängig und kann sie deshalb lieben.
Die zwei Fragen an den Vater
Unbewusst und unausgesprochen hat jeder Sohn an seinen Vater zwei wichtige Fragen, die er ihm stellen muss:
- Bin ich Dein geliebter Sohn?
- Bekomme ich Deinen Segen für mein Tun?
Werden diese beiden Fragen nicht positiv beantwortet, ist die Vater-Sohn-Beziehung gestört. Darüber hinaus hat auch der Vater eine nicht ausgesprochene Frage an seinen Sohn:
- Habe ich als Vater genügt?
Es ist eine wesentliche Aufgabe eines Sohnes diese Frage zu beantworten, wenn er in sein eigenes Leben geht.
Verantwortliche Elternschaft
Eltern – und vor allem Väter – übernehmen erst dann die volle Elternschaft für ihre Kinder, wenn sie diese
- in Ehrfurcht annehmen
- in Liebe erziehen
- und in Freiheit entlassen – immer wieder
Der Vater hat gegenüber seinem Sohn noch weitere Pflichten. Wenn der Vater gegenüber seinem Sohn
- Zuwendung zeigt, kann der Sohn sich selbst annehmen – auch als Mann.
- Gefühle zeigt, sieht der Sohn, dass es ok ist, als Mann Gefühle zu zeigen, er lernt, wie das geht.
- Fehler zugibt, dann muss der Sohn kein einsamer, fehlerloser Held sein.
Ein verantwortungsvoller Vater lässt dem Sohn die Freiheit, eigene Erfahrungen zu sammeln und dabei Fehler zu machen. Wenn er ihm in Sinne von Helikoptereltern jeden Weg ebnet, und ihm nicht angemessene Freiheit lässt, sich auszuprobieren, wird der Sohn nie erwachsen.
Grenzüberschreitungen
Die Grundfrage ist hier, ob ich mich auf meinen Vater und seine Zusagen verlassen kann. Das beantwortet die Frage des Sohnes: „Bin ich Dir wichtig?“
Wenn der Vater Vorkommnisse später abstreitet („Das war nicht so!“), betreibt er die Destabilisierung seines Sohnes.
Auch wenn er dem Sohn das Gefühl gibt, er sei nicht ok, erzeugt er damit Abhängigkeiten. Denn der Sohn wird immer der Anerkennung durch seinen Vater hinterherlaufen.
Fragen an uns selbst
Wenn wir unsere Väter in den Himmel heben, ist niemandem gedient. Es gibt keinen perfekten Vater, mit ihm könnte kein Sohn erwachsen werden. Väter sind Menschen, sie dürfen Fehler machen. Die Frage ist nur, ob wir ihnen diese Fehler verziehen und unsere Verletzungen verarbeitet haben.
Dazu müssen wir Söhne zuerst unsere Verletzungen erkennen und anschauen. Das ist schwer, keiner schaut gerne eine eigene eiternde Wunde an. Und es erfordert Mut, denn es zeigt, dass der eigene Vater weder ideal noch erbärmlich ist oder war. Um mit unserem Vater klar zu kommen, müssen wir uns also fragen, ob die folgenden Aussagen gegenüber unseren Vätern für uns immer noch für stimmig sind:
- „Ich fürchte immer noch Dein Urteil. Ich tue alles, um Dir zu gefallen.“
- „Deine Liebe kann ich nur durch Leistung erringen.“
- „Vieles, was in meinem Leben schief gelaufen ist, ist Deine Schuld. Du bist dafür verantwortlich, dass ich mich verlassen und leer vorkomme.“
- „Ein Teil von mir sucht Heilung und Nähe zu Dir, während ich gleichzeitig wütend bin und Dich abweise.“
- „Du warst zu selten da, die Distanz zu Dir ist groß. Ich habe mir meine Sehnsucht nach Dir nie wirklich eingestanden.“
Vaterhunger
Vor allem, wenn für Dich die letzte Aussage stimmt, leidest Du eventuell an unerfüllten Vaterhunger. Das bringt Dich zu einer oder mehreren der folgenden Reaktionen:
- Du hakst den Mangel ab und wahrst Distanz.
- Du versuchst so zu werden, wie er Dich haben wollte, um doch noch seine Liebe zu bekommen.
- Du willst auf keinen Fall so werden wie er. Seine Anteile an Deiner Persönlichkeit leugnest und negierst Du.
- Du rebellierst offen und wütend gegen ihn.
Kannst Du diese Reaktionen nicht ablegen und Dich heilen, wirst Du immer Probleme mit Autoritäten haben. Du wirst außerdem immer Angst vor männlicher Nähe haben, wenn Dir die Vaternähe fehlt und der Vater Dir nie gezeigt hat, dass er immer für Dich da ist. Denn vom Vater lernen wir den Umgang mit Männern.
Die Heilung
Alle Neurosen sind ein Ersatz für eigentlich legitimes aber nicht ausgelebtes Leiden, also für nicht ausgelebten oder nicht erkannten Ärger, Trauer oder Schmerz.
Wie oben schon geschrieben, kann Heilung nur erreicht werden, indem wir unsere Wunden anschauen und sie versorgen. Wir haben Wunden, deshalb müssen dafür sorgen, dass die Wunden uns nicht haben. Ein Held schaut hin und versorgt seine Wunden, einem Barbar sind sie egal, er vergiftet mit seinen schwärenden Wunden sich und seine Umwelt.
Bei der Heilung der Wunden hilft, sich um die Söhne verantwortlich zu kümmern. Bevatern hilft auch dem Vater, es befriedigt ein Grundbedürfnis, so wie bemuttern die Mutterrolle erfüllt. Wenn wir uns nicht um eigene Söhne kümmern können, vielleicht weil wir keine haben, sollten wir dafür offen sein, uns um fremde, vaterlose Söhne als Mentoren zu kümmern. Wie oben beschrieben kann die Vaterrolle und die Mentorenrolle nur gelingen, wenn wir uns unserer Verletzungen bewusst sind, sonst geben wir sie unbewusst weiter. Sorgen wir also dafür, dass wir unsere Traumata nicht vererben, damit unsere Welt ein bisschen gesunden kann.
PS: Natürlich spielen Väter auch für Töchter eine wichtige Rolle. Sie zeigen ihnen, was ein Mann sein kann und schützen sie so, auf groß gewordene Knaben hereinzufallen. Aber das ist ein anderes Thema.