Freiheit – Versuch einer Definition
Freiheit ist ein weitreichender Begriff, der von unterschiedlichsten Menschengruppen mit unterschiedlichsten Bedeutungen belegt wird. Wir kommen also nicht umhin, den Begriff der Freiheit näher zu definieren.
Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass unser heutiger Freiheitsbegriff erst in der Aufklärung, also vor gut 200 Jahren mit der Gründung der USA, der französischen Revolution beziehungsweise den deutschen Aufständen 1848 aufkam. Erst zu dieser Zeit versuchten sich Menschen als Einzelne aus der Herrschaft des Feudalismus zu befreien. Auch schon vorher, zum Beispiel in den Bauernkriegen, wurde nach Freiheit gerufen, aber der damalige Begriff unterscheidet sich vom Freiheitsbegriff der Aufklärung erheblich. Denn bis zur Aufklärung wurde nicht die Freiheit des Einzelnen, sondern die einer Gruppe von Menschen, zum Beispiel der Bauernschaft, gefordert. Die Aufklärung hingegen kam zu dem Schluss, dass Freiheit und Gleichheit des Menschen zusammengehören, und dass die Freiheit nicht ohne ihre Grenzen definierbar sei. Frei und gleichzeitig gleich kann der Einzelne allerdings nur in einer Demokratie sein, denn das Verhältnis beider muss in einem gesellschaftlichen Diskurs immer wieder neu ausgehandelt werden.
Die Arten der Freiheit
Betrachten wir zuerst einmal, wie Freiheit von Juristen, Philosophen und Gesellschaftswissenschaftlern verstanden wird, also von den Fachrichtungen, die sich mit der Soziologie befassen.
Die Freiheit, so sagen diese, muss Grenzen haben, sonst wird sie zur Willkür oder zur Anarchie. Diese Grenzen kann man definieren, indem man zwei verschiedene Arten der Freiheit unterscheidet und gegeneinander abwägt:
- Die positive oder besser aktive Freiheit ist die Freiheit des Einzelnen, alles zu tun, was er tun möchte, also zum Beispiel möglichst viel Geld zu verdienen oder weite Reisen zu unternehmen.
- Die negative oder besser passive Freiheit ist die Freiheit des Einzelnen von äußeren Einflüssen, die für ihn negative Folgen haben. Hier ist zum Beispiel die Freiheit von Bedrohung oder Not zu nennen.
Wenn man nur die aktive Freiheit betrachtet, wäre die Schädigung eines Anderen durchaus zulässig, es wäre sozusagen eine Wild-West-Freiheit, in der der Einzelne nur Schaden von sich selbst abhalten kann, indem er selbst Gewalt einsetzt. Freiheit und Gleichheit für den Einzelnen kann es dann nur durch ein Gleichgewicht des Schreckens geben. Der Revolver beziehungsweise im größeren Rahmen die Atombombe wird zum Gleichmacher und zur Ultima Ratio.
Theoretisch sind alle Menschen gleich, und von daher sollte es dadurch ein Gleichgewicht geben. Tatsächlich aber gibt es Menschen, die schutzbedürftiger sind als andere, also unterprivilegiert sind. Für die muss es die passive Freiheit geben, also die Freiheit von Angst und Bedrohung, die allerdings naturgemäß nicht durch die Unterprivilegierten, sondern nur durch die Gemeinschaft durchgesetzt werden kann. Vereinfachend gesagt heißt das, dass die Überbetonung der aktiven Freiheit zur Anarchie, die der passiven Freiheit zum Sozialismus führt.
Im Widerstreit zwischen aktiver und passiver Freiheit entstehen immer wieder Spannungen, sodass die Freiheiten und deren Gleichgewicht immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, um für alle eine wirkliche und wirksame Freiheit zu erreichen. Wenn dieses Spannungsverhältnis gut ausgehandelt ist, nennen wir diesen Zustand Gerechtigkeit, denn nur wenn die aktive Freiheit eingeschränkt wird, ist sie keine Willkür.
Es gibt auch moralische Ideale, durch die der Einzelne sein Handeln selbst begrenzt. So kann er sich im kant‘schen Sinne selbst Regeln setzen, die seine eigene Freiheit beschränken. Er wird dadurch autonom. Autonomie wird von Philosophen als der aktiven und passiven Freiheit überlegen betrachtet, denn der autonome Mensch erhält sich durch seine Selbstbeschränkung seine Würde als moralisches Wesen. Die Aufgabe, die Freiheit des Einzelnen so einzuschränken, dass sie mit der Freiheit aller vereinbar ist, würde dann nicht von der Gemeinschaft, sondern von den Individuen erfüllt. Das ist allerdings nur möglich, wenn wirklich alle Menschen autonom sind, was ein unerreichbares Ideal ist, auch wenn es als Richtschnur der Erziehung gilt.
Die Betonung der aktiven Freiheit
Die Überbetonung der aktiven Freiheit, wie wir sie zum Beispiel im Neoliberalismus finden, führt zu Ungleichheit, denn es gibt Menschen, Institutionen oder Unternehmen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Übermacht ihre Regeln selbst zuschneiden können. Hier wird John Locke folgend Freiheit nur am Eigentum definiert. In einem neoliberalen Staat reüssieren Machtmenschen, sie streben nach uneingeschränkter Handlungsfreiheit, auch auf Kosten anderer.
Der Einzelne braucht aber eine materielle Grundsicherung, um die aktive Freiheit auch ausüben zu können. Das Grundgesetz garantiert mir z.B. die (aktive) Freiheit auf Freizügigkeit. Ich darf also jederzeit zum Beispiel nach München ziehen. Wenn aber in München die Mieten so hoch sind, dass ich mir dort keine Wohnung leisten kann, muss ich möglicherweise unter einer Brücke schlafen, was meine (passive) Freiheit, nämlich menschenwürdig leben zu können, erheblich eingeschränkt. Damit geht auch meine aktive Freiheit der Freizügigkeit verloren. Die formelle (aktive) Freiheit reicht also in diesem Fall nicht aus, es fehlt die materielle (passive) Freiheit als Grundlage.
Die Betonung der passiven Freiheit
Wird die passive Freiheit überbetont, führt das zu einem Staat, der alle Menschen bestmöglich schützt und versorgt, ihnen aber wenig Handlungsspielraum lässt, denn ein solcher kann immer zur Schädigung Anderer führen. In einem solchen Staat wird ein Bürger wie ein unmündiges Kind behandelt, das zum „Neuen Menschen“ erzogen werden muss und dem jede Handlung vorgeschrieben wird. Nur Menschen mit starken Ängsten fühlen sich in einem solchen totalitären Staat wohl, denn sie streben nach uneingeschränkter Sicherheit, der sie gerne ihre Handlungsfreiheit opfern.
Die Gesellschaft muss also eine Lösung für das Spannungsverhältnis zwischen aktiver und passiver Freiheit aushandeln. Diese kann in unterschiedlichen Gesellschaften sehr unterschiedlich sein, denn zur Freiheit gehört auch, dass ich selbst definieren kann, was meine Freiheit ist. Wir erkennen, dass Parolen wie „Freiheit oder Sozialismus“ zu kurz greifen.
Die intrinsische Freiheit
Die Psychologie kennt noch eine andere Freiheit nämlich die, die nicht aus dem Verhältnis zwischen Menschen zueinander erwächst, sondern die sich der Einzelne nehmen kann, beziehungsweise die er aus seiner eigenen inneren Beschränkung heraus nicht nehmen kann. Das gilt vor allem, wenn er weder die Freiheit noch deren Wert erkennt.
Werte als Einschränkung der Freiheit
Wenn wir bestimmte Werte als bindend betrachten, schränken wir damit zwangsläufig die Freiheit unseres Handelns ein. Aber ist eine solche Einschränkung schlecht? Das kommt darauf an, ob wir diese Werte bewusst gewählt haben oder ob sie uns ohne unser Zutun in unser Unbewusstes eingepflanzt wurden. Warum halten wir also an Werten fest?
- Werte spenden Identität.
Ich werde dadurch, dass ich diese Werte vertrete, in meiner Vorstellung zu einer besonderen und unverwechselbaren Person. - Werte verbinden.
Leute mit den gleichen Werten gehören zu „uns“, auf die können wir zählen. Wir glauben, dass sie uns ähnlich sind, ohne dass wir das in jedem Fall überprüfen müssen. - Werte trennen.
Leute mit anderen Werten sind „die Anderen“, denen nicht zu trauen ist und die man im Zweifelsfall verachten darf. Sie sind eigentlich gar keine richtigen Menschen („Ungläubige“, „Kanaken“, „Froschfresser“, „Teufelsanbeter“, …) und man glaubt, sie unbestraft und mit Gewalt bekämpfen zu dürfen. - Werte machen das Leben einfach.
Durch die Werte, die eine Person vertritt, kann ich ihn mit einem Etikett versehen („Konservativer“, „Anarchist“, „Islamist“, „Rechter“, …) und brauche mich nicht mehr detailliert mit ihm zu beschäftigen. Damit machen Werte, die ich anderen zuschreibe, die komplizierte Welt scheinbar übersichtlich.
Wir sehen also, dass es viele ziemlich egoistische Gründe gibt, unbeirrt an Werten festzuhalten. Das gilt auch, wenn sie nur Glaubenssätze sind, die uns von früheren Generationen eingeimpft wurden. Ich erinnere mich, wie in den 60’ern ein Mann auszusehen hatte: glattrasiert, kurze Haare, Anzug, Krawatte. Jeder, der anders aussah, wurde als „Gammler“, „Kommunist“ oder „Arbeitsscheuer“ diffamiert und wenn möglich mit Gewalt bekämpft. Man hat also aus dem äußeren Erscheinungsbild, das nicht dem eigenen entsprach, ohne Prüfung darauf geschlossen, dass er auch die eigenen, von Autoritäten eingepflanzten und kritiklos verinnerlichten Werte nicht vertrat: Sauberkeit, Fleiß und Ordnung.
Skripte als Einschränkung der Freiheit
Eltern und andere Erziehungspersonen geben uns allein dadurch, dass sie uns Verhalten vorleben, Verhaltensregeln mit, die uns, wie jede Regel, einschränken. Diese Einschränkungen sind dann soweit internalisiert, dass sie nicht umgangen werden können, sie sind zum Teil sogar dem Handelnden nicht mehr bewusst. Nach Eric Berne nennt man sie Skripte, die sich in Einschärfer („Du darfst nicht…“) und Antreiber („Du musst…“) unterteilen. Sie können das ganze Leben eines Menschen bestimmen und ihn somit unfrei machen, auch dann, wenn ihm die äußeren Rahmenbedingungen jede Freiheit lassen. Skripte sind der oft unterbewusste Lebensplan eines Menschen, nach dem er sich richtet, wie ein Schauspieler nach seinem Drehbuch. Wir können sie nicht nur durch das Verhalten anderer Menschen verinnerlicht haben, sondern auch durch äußere Umstände, wie zum Beispiel durch unseren Platz in der Geschwisterreihe, unsere soziale Stellung oder durch erlebte Traumata.
Dennoch sind Skripte nicht nur negativ, denn durch sie werden wir sozialisiert, das heißt an unsere Gemeinschaft soweit angepasst, dass wir in ihr agieren können. Durch sie muss ich als „Wohlerzogener“ nicht jedes Mal lange abwägen, ob eine von mir geplante Handlung gesellschaftlich erwünscht ist. So ist die anerzogene Scham in manchen Fällen durchaus sinnvoll, in anderen hindert sie mich zum Beispiel daran, mit Fehlern angemessen umzugehen. Die gern zitierte Moral ist also nichts anderes als eine Sammlung von Skripten, das mir von frühester Kindheit vermittelt wurde und die sich je nach Gesellschaftsform deutlich unterscheiden kann.
Befreiung von Skripten
Wie oben bereits gesagt, sind mir die Skripte, die mich einschränken, nicht unbedingt bewusst. Sie wirken oft – und besonders wirkungsvoll – aus dem Unterbewussten. Und selbst wenn sie mir bewusst sind, greife ich in Stresssituationen ohne zu überlegen auf anscheinend bewährte Lösungen zurück, auf schnelle Lösungen, die mir schon seit meiner Kindheit vertraut sind. Deshalb handeln Menschen unter Stress wenig rational, sie handeln oft panisch und unüberlegt wie Kinder. Man spricht hier von einer Altersregression.
Skripte, die unsere Handlungsfreiheit so einschränken, dass wir uns selbst im Wege stehen, können ein gutes Leben, sei es privat oder beruflich, verhindern. Um wieder frei handeln zu können, sollten wir deren Herkunft herausfinden und vor allem erforschen, welchen Sinn unser Unterbewusstes darin sieht, sie bis heute als für uns als gültig zu sehen. Wir sollten also weniger nach dem „Warum“ fragen, denn diese Frage führt in die Vergangenheit. Wichtiger ist die Frage nach dem „Wozu“, also nach dem Ziel, das die Einschränkung zu erreichen sucht. Möglicherweise können wir dann das eine oder andere Skript modifizieren oder uns von ihm verabschieden. Wir sollten die Skripte, denen wir folgen, untersuchen:
- Welche sind es?
- Wer hat sie uns eingeprägt?
- Hatte derjenige überhaupt die Kompetenz dazu, und hat er sie bis heute?
- Waren sie vielleicht damals richtig, sind jedoch im heutigen Zusammenhang falsch?
Diese Fragen zu beantworten, ist der erste Schritt. Der zweite ist, uns von den Skripten zu lösen, die wir nicht (mehr) für sinnvoll halten und uns so einen größeren Handlungsspielraum zu verschaffen. Und der dritte und schwerste Schritt besteht darin, diese Handlungsfreiheit auch unter Stress beizubehalten und so Souveränität zu erreichen.
Freiheit erreiche ich weder, indem ich jemandem blindlings folge, noch indem ich immer das Gegenteil dessen tue, was derjenige tun würde. Nur wenn mir alle Handlungsoptionen offen stehen, habe ich die Freiheit, auf jede Situation angemessen zu reagieren. Die innere Freiheit ist weder folgsam noch rebellisch, denn in diesen beiden Verhalten richte ich mein Handeln nach anderen Menschen aus.
Erkrankungen als Einschränkung der Freiheit
Schließlich können auch psychische Störungen oder Erkrankungen zu Unfreiheit führen. So ist ein Mensch mit Zwangsstörungen nicht in der Lage, frei zu handeln. Jemand mit einem Waschzwang muss sich zum Beispiel so oft die Hände waschen, dass es für ihn schädlich ist. Ein anderer ohne diese Störung kann auch dann einmal auf das Händewaschen verzichten, wenn seine Hände schmutzig sind, aber gerade etwas anderes wichtiger ist. Eine Therapie kann hier helfen.
Schließlich können auch körperliche Erkrankungen die Handlungsfreiheit einschränken.
Fazit
Tatsächlich habe ich nur dann die Freiheit, auf eine Situation angemessen und zielführend zu reagieren, wenn ich weder durch Erkrankungen noch durch Skripte eingeschränkt bin. Dieses Ideal wird aber leider von keinen Menschen erreicht. Ich kann mich ihm nur dadurch annähern, dass ich mir meine Einschränkungen bewusst mache, die sinnvollen beibehalte, die wenig sinnvollen nicht weiter praktiziere und mit den unvermeidlichen zu leben lerne.