Ich hab‘ keine Ahnung …
Letztens bin ich mit einem ehemaligen (Maschinenbau-)Kollegen ins Gespräch gekommen, was ich denn jetzt so mache. Ich habe ihm über das Coaching erzählt und was ich dabei mache und welche Menschen mit welchen Problemen ich begleite. Er meinte dann: „Sag mal, da kommen ja die unterschiedlichsten Leute zu Dir, mit unterschiedlichsten Problemen. Da musst Du ja alle Probleme verstehen, sonst weißt Du ja gar nicht, wovon die sprechen. Das könnte ich nicht, so vielseitig bin ich nicht.“
Ich habe mich natürlich erst einmal gebauchpinselt gefühlt, aber nur kurz. Denn dann musste ich ihm gestehen, dass es weder notwendig noch zielführend ist, dass ein Coach das Problem seines Klienten versteht. Und wenn er glaubt, für dieses Problem eine Lösung zu haben, sollte er sich – so jedenfalls der Rat von Steve de Shazer, dem Papst der Lösungsfokussierung – „in die Ecke setzen, ein Aspirin nehmen und warten, bis der Anfall vorbei ist.“
Der Coach hat keine Lösung
Das konnte der ehemalige Kollege überhaupt nicht begreifen: „Ja aber wie kannst Du ihn dann beraten? Woher nimmst Du die Lösungen?“ Und da musste ich weiter ausholen. Ich schilderte ihm, was der Unterschied ist zwischen einem Berater, der dem Kunden eine Lösung anbietet, und dem Coach, der den Kunden bei der Lösungsfindung begleitet. Auf den ersten Blick machen wir Coachs es uns nämlich einfach: wir lassen den Klienten sein Problem definieren und die Lösung finden. Wir geben ihm keine klugen Ratschläge. Aber glauben Sie mir, genau das ist viel schwerer, als es sich anhört.
Unser Verstand lässt sich nämlich kaum abschalten. Und wenn wir – gerade wir Männer, aber Frauen sind da nur graduell besser – von einem Problem hören, wollen wir es lösen. Wenn ein Coach neu im Geschäft ist, hat er eine dicke Zunge, so oft muss er sich auf selbige beißen, um eben keinen Ratschlag zu geben. Das wird mit der Zeit besser, hört aber nie ganz auf. Denn dieses Vorgehen widerspricht unseren Gewohnheiten. Unser Verstand will Probleme lösen, und die Lösung fachlicher Probleme hat die Menschheit ziemlich weit gebracht. Hat ein Mensch Fragen und Probleme, die im seelischen oder zwischenmenschlichen Bereich liegen, dann nützt der Verstand wenig.
„Mach es weg!“
Wenn ein Klient zu einem Coach kommt, passt ihm etwas nicht, er hat ein Symptom, das ihm nicht gefällt. Und er kommt mit dem Anspruch: „Mach das mal weg! Dann geht es mir bestimmt besser.“ Matthias Varga von Kibéd hat einen guten Spruch geprägt, der klar macht, dass das Wegmachen eines Symptoms nicht die Lösung sein kann: „Kopfschmerz ist kein Aspirinmangel!“ Kopfschmerz als Symptom kann man zwar mit Aspirin dämpfen, aber wenn ich Kopfschmerzen habe, habe ich die nicht, weil ich kein Aspirin genommen habe.
Und das ist der Grund, warum Coachs keinen Rat geben: Sie können die wahren Ursachen des Problems gar nicht kennen. Wenn ich zum Beispiel mit einem Klienten über sein Problem spreche, ist es völlig irrelevant, ob ich sein Problem verstehe und ob ich überhaupt eine Ahnung habe, wovon er spricht. Klar, ich frage nach, und es sieht aus Sicht des Klienten so aus, als wolle ich sein Problem verstehen. Aber ich frage nur so lange, bis ich den Eindruck habe, dass er selbst sein Problem versteht. Wenn wir das gemeinsam erreicht haben, sind wir schon ziemlich weit gekommen, meist funktioniert das erst nach dem zweiten oder dritten Termin. Die Neugier des Coaches darf hierbei keine Rolle spielen. Der Coach darf auf den Menschen neugierig sein, nicht auf sein Problem.
Vielleicht meine ich auch, sein Problem verstanden zu haben. Aber dieser Gedanke ist gefährlich für einen Coach: Er kann nicht wissen, ob wir wirklich dasselbe meinen wie der Klient, und wenn er dieser Überzeugung ist, ist seine Sicht so eingeschränkt, dass es schnell zu Missverständnissen kommt. Wenn er dagegen das Problem überhaupt nicht verstanden hat, kommt er auch nicht in Versuchung, den Klienten in eine bestimmte Richtung zu drängen. Das ist das Wichtigste: dem Klienten Raum geben, damit er selbst auf seine eigene Weise aktiv werden kann.
Der Client kennt die Lösung
Mit der Lösung ist es genauso: zum einen hat die Lösung nichts mit dem Problem zu tun. Es ist meist so, dass ein ganz anderes Problem gelöst werden muss, um die Symptome zum Verschwinden zu bringen. Und dann hat das ursprüngliche Problem keine Relevanz mehr. So kann es sein, dass ein Klient Probleme mit seinem Chef hat. Das kann durchaus daher kommen, dass der Klient den Chef unbewusst mit seinem Vater im Sinne einer Übertragung verwechselt. Klärt er nun die Probleme, die er mit seinem Vater hat, oder schafft er es, die Übertragung zu vermeiden, kann das Problem mit seinem Chef verschwunden sein, ohne dass er an dem ursprünglichen Problem mit seinem Chef gearbeitet hat.
Auf der anderen Seite kann ich nicht wissen, ob eine Lösung wirklich die Lösung für den Klienten ist. Denn meine Lösung nützt dem Klienten nichts – aus diesem Grund sind die beliebten Ratgeberbücher ziemlich nutzlos. Um den Klienten zu seiner Lösung zu bringen, stellen lösungsorientierte Coaches Fragen, die dem Klienten sonderbar anmuten können, die aber auf eine tiefere Gedanken-Ebene führen, einer Ebene, auf der die Lösung zu finden ist.
Hindernisse erkennen
Genauso wichtig ist es, dass sich der Klient sowohl Hindernisse als auch Hilfen oder Ressourcen auf dem Weg zur Lösung bewusst macht. Ein häufiges Hindernis ist zum Beispiel der sogenannte sekundäre Gewinn. Ein eigentlich unerwünschtes Symptom hat dabei Nebenwirkungen, die vom Klienten unbewusst durchaus begrüßt werden. So „wollte“ einer meiner Klienten unbewusst weiter Kopfschmerzen haben, weil er nur so Beachtung fand. Ein weiteres Phänomen ist die Angst vor den zukünftigen Aufgaben. Ein Schüler bleibt zum Beispiel sitzen, weil er Angst vor dem Einstieg ins Berufsleben hat und diesen hinauszögern will. Oder ein Klient hat den Eindruck, dass eine dritte, für den Klienten wichtige Person mit dem Erreichen des Zieles nicht einverstanden ist. Es sei aber in aller Deutlichkeit gesagt, das kann sein, muss aber durchaus nicht zutreffen.
Die Fragen, die ein Coach stellt, sind insgesamt nicht dafür da, dem Coach Informationen zu geben. Sie sollen den Prozess der Lösung beim Klienten vorantreiben. Der Coach ist ein Experte: er ist der Experte für den Lösungsprozess. Der Experte für das Problem und seine Lösung ist aber der Klient. Danach immer zu handeln, ist schwer für den Coach. Und es jemand anderem theoretisch zu erklären, so wie ich es versucht habe, es meinem ehemaligen Kollegen zu erklären, ist noch schwerer.
Viel besser geht das in der praktischen Arbeit. Möchten Sie herausfinden, was Ihr eigentliches Problem ist, und möchten Sie eine Lösung dafür finden? Kontaktieren Sie mich, ich begleite Sie gern auf diesem Weg. Denn glauben Sie mir, Sie kennen die Lösung, Sie haben sie nur vergessen.