Krieg und Frieden
Vor ein paar Tagen habe ich in einer Veröffentlichung eines Psychotherapeuten gelesen, dass auch Psychotherapeuten und Coaches etwas für den Frieden tun könnten. Er schrieb, dass jeder Konflikt zwischen zwei Staaten eine Geschichte und damit eine Ursache hat. Das stimmt sicherlich. Dann aber behauptete er, um den Frieden zu erreichen, müsse man diese Ursache erkennen. Und da habe ich meine Zweifel, ich bin sogar davon überzeugt, dass dieses Vorgehen zu erneuten Spannungen führen kann.
Die „Erbfeindschaft“
Ich erinnere mich, als Jugendlicher ein Geschichtsbuch aus dem Dritten Reich gelesen zu haben. Darin war viel von der „Erbfeindschaft“ zwischen Deutschland und Frankreich die Rede. Jedes kleinste Grenzscharmützel zwischen den beiden Staaten oder zwischen zwei Adeligen, die man dem einen oder anderen Land zurechnen kann, wurde als deutsch-französischer Krieg detailliert aufgelistet und nummeriert. Er war damit ein weiterer Beweis für die unveränderliche Feindschaft der beiden Staaten.
Hier wurde also Ursachenforschung betrieben, aber die führte dazu, dass keineswegs Frieden geschlossen, sondern ein neuer Krieg vorbereitet wurde. So wie in Frankreich nach dem verlorenen Krieg 1870/71 das Wort geprägt wurde: „Nie davon sprechen, immer daran denken!“, was eine revanchistische Stimmung im Lande erzeugte, wurde in Deutschland nach 1914/18 mit dem Wort „Erbfeindschaft“ Stimmung gegen Frankreich gemacht. In beiden Fällen bezog man sich auf die Geschichte, auf die Ursachen der Spannung, was ja nach Meinung des oben genannten Autors zum Frieden führen sollte.
Wie wurde der Friede erreicht?
Heute will kaum jemand mehr einen Krieg zwischen den beiden Ländern anzetteln. Sie sind auch militärisch so weit zusammengewachsen, dass das technisch gar nicht mehr möglich wäre – so wenig wie ein Krieg zwischen Preußen und Bayern.
Was haben also de Gaulle und Adenauer gemacht, um Frieden und Zusammenarbeit zu erreichen und den Konflikt auch im Bewusstsein der Völker zu beenden? Sie haben nicht die Geschichte betrachtet und Ursachenforschung betrieben – was sowieso hoffnungslos gewesen wäre – sie sind lösungsfokussiert vorgegangen. Sie haben sich und andere gefragt: „Was wäre anders, wenn zwischen Deutschland und Frankreich kein Konflikt mehr herrschen würde?“ Und schon war die Frage nach der Ursache und den Verursachern des bestehenden Konflikts – denn der war nach 1945 sicher vorhanden – sekundär. Sowohl den Franzosen als auch den Deutschen hat das neue Bild vom friedlichen, geradezu familiären Zusammenleben gefallen, und sie haben sich daran gemacht, das Zukunftsbild zu verwirklichen.
Hätten sie weiterhin auf die Geschichte gestarrt und nach Ursachen gesucht, wären sie gescheitert. Denn ein so lange andauernder Konflikt hat keine einzelne Ursache und erst gar keinen Verursacher. Die Unmöglichkeit, diese Frage zu klären, hätte zu einem erneuten Konflikt geführt.
Alte Konflikte anschauen
Das heißt nicht, dass man sich die Geschichte nicht anschauen dürfe. Im Gegenteil, wer aus der Geschichte nichts lernt, ist gezwungen, sie ständig aufs Neue zu wiederholen. Nur dadurch, dass man aus der Geschichte nicht auf die Ursache der Konflikte schließen will, sondern sie als gemeinsame Historie von Irrtümern begreift, lernt man aus ihr und kann wirklichen Frieden schließen.
Und was hat das mit mir zu tun?
Und warum erzähle ich das alles? – Weil es einer Ehe gleicht, in der es zu ständigen Reibereien und Streitereien kommt. Das Beispiel ist gut geeignet, um einem Paar klar zu machen, was es tun kann, um Ehekriege zu beenden und zu einem friedlichen Zusammenleben zu finden. Denkt man nur an vergangene ungute Situationen, führt das zu Rachegedanken, zu Revanchismus. Natürlich darf man sagen, was einen am Verhalten des Partners gestört hat, und wenn es nicht der Ursachenforschung dient, darf man auch alte Streitsituationen gemeinsam betrachten und sich über das damalige kindische Verhalten amüsieren.
Aber nie – wirklich niemals – sollte man versuchen, den „Schuldigen“ eines Streits zu definieren. Warum der eine sich so verhalten hat und der andere deshalb beleidigt oder verärgert war, ist eine Frage, die sich nicht klären lässt, ohne die Familiengeschichte des Einzelnen aufzudröseln. Das bringt zur Vermeidung zukünftiger Konflikte nichts, macht das Zusammenleben nicht harmonischer und kostet mehr Mühe, als es Nutzen bringt.
Fazit
Was also tun bei einem Streit? Streiten Sie, aber ohne den anderen zu verletzen. Wenn sich die Gemüter beruhigt haben, bewältigen Sie ihn lösungsfokussiert: Überlegen Sie, wie Ihr Zusammenleben aussähe, wenn dieser Streit gelöst wäre – nicht mit einem Kompromiss, sondern mit einem Konsens. Und noch später, wenn Sie den Konsens leben, dann versuchen Sie eine Lehre aus dem Streit zu ziehen. Finden Sie einen Weg, ähnliche Differenzen zu lösen, ohne zu streiten. Das wird nie ganz klappen, doch schon, wenn sich beide Partner Mühe geben, wird das zu einem besseren Zusammenleben führen. Sehen Sie sich bei Ihrem nächsten Streit an, wie er abläuft, finden Sie typische Abläufe. Und die vermeiden Sie dann beim nächsten mal!