Posttraumatische Belastungsstörungen
Eine posttraumatische Belastungsstörung ist die Folge eines erlebten Traumas. Um sie zu verstehen, müssen wir also zuerst klarlegen, was wir unter einem Trauma verstehen.
Was ist ein Trauma?
Was ein Trauma ist, wird immer wieder falsch verstanden, sogar von psychologischen Profis. Ein Trauma wird in Lehrbüchern definiert als ein Ereignis, das von Beobachtern als traumatisch gesehen wird. Traumaforscher wie Michaela Huber haben dagegen erkannt, dass ein Trauma nie ein Ereignis ist, sondern das Erleben des Betroffenen. Dieser entscheidet – natürlich nicht bewusst – ob er von diesem Erleben überlastet wir. Wenn die Belastung für den Erlebenden zu viel wird, führt das dazu, dass dieser dissoziiert, dass er also das Erlebte abspaltet oder so verfälscht, dass es für ihn erträglich wird. Ein Anteil seiner Persönlichkeit wird dann mit dem Erlebten allein gelassen.
Eine dissoziative Abspaltung betrifft eine Wahrnehmung beziehungsweise die Erinnerung daran. Das kann bis zu einer vollständigen Verdrängung des Erlebten führen, bei der jede Erinnerung daran scheinbar ausgelöscht ist. Es gibt hierzu in der Psychologie das Modell der Persönlichkeitsanteile, die vollständig abgespalten werden können. Als Folge davon kann man sich zum Beispiel nach einem Unfall nicht mehr an dessen Verlauf erinnern. Diese leichte Form wird von vielen Menschen erlebt, wenn aber ganze Erinnerungsketten über weite Strecken verloren gehen, spricht man von einer dissoziierten Störung, wie sie bei einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung auftritt, auf die wir weiter unten näher eingehen werden.
Es gibt kein objektives Kriterium, mit dem man entscheiden kann, ob ein Erlebnis traumatisierende Folgen hat oder nicht. Das gleiche Ereignis kann von dem einen als sozusagen „normal“ angesehen werden, als eine beherrschbare Belastung, für einen anderen geht die Welt unter. Das hat nichts damit zu tun, dass der eine „stark“ und der andere eine „Mimose“ ist, sondern es ist eine Folge von vorher Erlebtem, das meist bis in die frühe Kindheit, ja sogar bis ins Embryonalstadium dieses Menschen zurückgeht. Ein Ratschlag der Form „nun reiß Dich mal zusammen“ oder „das ist doch gar nicht so schlimm“ ist also nicht angebracht, damit kann ein traumatisches Erleben nicht beherrschbar gemacht werden. Ein solcher Ratschlag wird von dem traumatisierten als Schlag erlebt, als eine Retraumatisierung.
Die Arten der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Die sozusagen „einfache“ Form der PTBS, die von einem einzelnen Erlebnis ausgelöst wird. Diese führt zu
- einem immer wieder auftretenden Wiedererleben des traumatischen Geschehens
- einer Vermeidung von Situationen, die dem Erlebten ähneln
- zu einer Überreaktion nach einem Trigger, der das Wiedererleben auslöst.
Davon zu unterscheiden ist die komplexe PTBS, die aufgrund einer langjährigen, immer wieder auftretenden Traumatisierung, meist im Kindesalter, auftritt. Die Symptome einer solchen sind in der Regel weitreichender und tiefgehender, wenn auch oft von außen als weniger spektakulär erlebt. Die Folgen komplexer Traumatisierung können sein:
- Veränderung der Lebens- und Glaubensvorstellung
- die Somatisierung des psychischen Stresses
- Flashbacks, bei denen der Betroffene das Trauma so wie beim ersten Mal wieder erlebt
- Albträume
- Veränderung der Regulation des Verhaltens, Über- oder Unterregulation
- Veränderung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein
- Veränderung der Selbstwahrnehmung
- Veränderung der Beziehung zu anderen
Kernmerkmale einer jeden PTBS sind oft der Mangel an Impulskontrolle, wodurch Betroffene dazu neigen, einer Sucht zu verfallen. Damit einher geht ein Mangel an Selbstvorsorge, durch den der Sinn des Lebens nicht mehr gefunden werden kann. Sie sind anfällig auf Reviktimisierung, sie sind also oft in bestimmten Bereichen besonders empfindlich und empfinden sich immer wieder als Opfer.
Bei Trauma-Opfern liegt immer eine Dissoziierung vor, also eine partielle Abtrennung von der erlebten Wirklichkeit. Deshalb wird in vielen Fällen immer wieder von der als Trauma empfundenen Situation geredet, um sich selbst daran zu erinnern, was passiert ist und wie sie es erlebt wurde. Man erwartet dann eine Bestätigung durch den Zuhörer. Das kann für die Zuhörer belastend sein, auch, weil die Erinnerung verzerrt wird, wie in der bekannten Situation „Opa erzählt von Stalingrad“, die der die Familienmitglieder immer wieder die gleiche glorifizierend verzerrte Erinnerung hören.
Man sollte allerdings wissen, dass Menschen nach komplexen Traumatisierungen unterschiedlich reagieren. Man sagt: „Jungen explodieren, Mädchen implodieren“ um auszudrücken, dass manche Betroffenen ihre Spannungen nach außen tragen und aggressiv gegen andere werden. Andere neigen zu Selbstschädigungen wie Ritzen und Magersucht. Das vom Geschlecht abhängig zu machen ist eine an sich unzulässige Verallgemeinerung, die allerdings trotzdem tendenziell richtig ist.
Beziehungsmuster bei einer komplexen PTSB
Komplexe Traumata werden fast immer durch gestörte Beziehungen innerhalb einer Familie erzeugt. Die Eltern vernachlässigen die Kinder oder schränken sie ein. In diesen Familien ist Gewalt an der Tagesordnung. Despotismus und Laissez-faire wechseln sich oft anlasslos ab, sodass das Kind immer auf der Hut sein muss und die Eltern ständig beobachtet. Es kann nie bei sich selbst sein, seine Aufmerksamkeit wird ständig von den Eltern vereinnahmt. Es wird durch Bestechung, Erpressung oder Nötigung gefügig gemacht, Verrat intimer Kenntnisse ist häufig, wodurch der Verratene beschämt wird. Die einzige ihm zur Verfügung stehende Abwehr besteht dann in einer Solidarisierung mit den Mächtigen, also oft mit den Eltern. Das Opfer akzeptiert das Verhalten der Täter als notwendig, weil es sich selbst schlecht und „ungezogen“ empfindet. Das führt dazu, dass die Eltern als liebevoll und die Jugenderlebnisse gut geschildert werden, obwohl für Außenstehende das Gegenteil offensichtlich ist. Anders, aber nicht weniger schädigend ist bei der Vernachlässigung der Kinder deren Parentisierung, diese fühlen sich dann verpflichtet, die Verantwortung für das Wohlbefinden der Eltern zu übernehmen.
Kennzeichnend für gestörte Familien ist eine intergenerationale Weitergabe dieser dysfunktionalen Beziehungsmuster aufgrund eines Schweigegebots, mit dem diese sowohl innerhalb der Familie als auch nach außen geheim gehalten werden. Die Familien haben dadurch oft sehr wenige Außenkontakte, oder diese werden durch Lügen und Verschweigen getäuscht. Echte Freundschaften können so nicht entstehen.
Vom Opfer zum Täter
Viele Opfer eines komplexen Traumas werden aufgrund der oben erwähnten transgenerationalen Weitergabe wieder zu Tätern, die das Trauma an ihren Kindern re-initiieren. Damit werden sie auch gleichzeitig zu Tätern und erneut zu Opfern, denn sie werden nie eine gute Beziehung zu ihren Kindern aufbauen können. Darüber hinaus können sie das Verhalten ihrer Eltern nicht richtig einordnen, sie sagen, dass die Eltern sie geliebt hätten und dass sie eine schöne Kindheit gehabt hätten, obwohl das alles andere als wahr ist. Sie verdrängen die Wirklichkeit, und dabei helfen ihnen auch oft Süchte, die sie aufbauen, um die Erinnerungen nicht ertragen zu müssen. Sie heißen die erfahrene Gewalt gut, weil sie deren Begründung akzeptieren: „Mir tut das genau so weh, wenn ich Dich bestrafen muss. Ich mache das nur, weil Du …“. Eine Liebe um ihrer selbst willen haben sie nie erfahren. (Siehe auch: „Du sollst Vater und Mutter ehren„)
Fast alle Täter haben Vernachlässigung und/oder Verwahrlosung und Gewalt erfahren, sie haben in ihrer Kindheit wenig Positives erlebt. Sie haben erlebt, dass ihnen keinen Respekt entgegen gebracht wurde und wollen diesen jetzt erzwingen. Sie leiden an Täterintrojekten ihrer Eltern, die sie als abgespaltene Persönlichkeitsanteile in ihr Verhaltensrepertoire integriert haben.
Einen (potentiellen) Täter erkennt man daran, dass er in jungen Jahren leichtere dissoziale Taten begeht, wie zum Beispiel das Quälen von Tieren oder das Mobben jüngerer Kinder, was oft aus falsch verstandener Toleranz geduldet wird. Das entwickelt sich weiter zu einem Mangel an Affekt- oder Impulskontrolle, bei der in rasender Wut andere bestraft werden, weil „die schuld sind“. Kinder und Partner werden reinitiiert mit dem, was der Täter erlebt hat.
Auch Sexualstraftäter beginnen ihre Karriere mit anderen Auffälligkeiten. Dabei ist sexualisierte Gewalt immer ein Ausdruck der angestrebten Dominanz des Täters, sie hat nie mit sexueller Anziehung zu tun. Der Täter will das Opfer einverleiben, das „Reine“ und „Unschuldige“ des Opfers soll zerstört werden, stellvertretend für das „Zarte“ im Täter, das durch die Erduldung des Traumas zerschlagen wurde.
Mit Traumata überleben
Wenn man mit einer komplexen PTBS weder Opfer bleiben noch Täter werden will, ist es wichtig, jemanden zu finden, mit dem man über das Trauma reden kann. Oft hilft ein Freund oder ein wohlmeinender Verwandter, manchmal ist aber unbedingt ein Therapeut notwendig, der sich auf die Behandlung von Traumata spezialisiert hat. Auf jeden Fall muss eine Sicht auf das Erlebte entwickelt werden, die diesem möglichst nahe kommt. Was ist damals „wirklich“ passiert? Helfen kann dabei ein wohlmeinender Wissender, also jemand, der die Umstände kennt oder auch erlebt hat, ohne sie verschleiern zu wollen. Erst wenn die weitgehend unverzerrte Sicht auf die Erinnerungen gefunden ist, kann mit der Heilung begonnen werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass man nicht nach der Wahrheit, sondern nach Entschuldigungen für die Täter sucht. Viele zweifeln dann an sich selbst und an ihrem eigenen Erleben.
Woran erkennt man nun, dass die Wahrheit gefunden wurde, so wie sie damals erlebt wurde?
- Ist es eine Wahrheit, führt deren Bewusstmachung zu einer Symptomverbesserung.
- Plötzlich fügen sich viele vorher isolierte Puzzlesteine zu einem Ganzen zusammen.
- Die Wahrheit wird zu einem Schatz, weil sie Veränderungen zum Besseren anregt, auch wenn sowohl die Wahrheit als auch die Veränderungen schmerzhaft sein können.
Zusätzlich hilft, bewusst schöne Erinnerungen aufzubauen, um die schlechten zu ersetzen. Sofern das bewusst passiert und nicht das Ergebnis von Verdrängungen ist, ist das hilfreich und zulässig. (Siehe auch: „Die Gummistiefel„)
Fazit
Ein Aufwachsen ohne Trauma ist nicht möglich, denn Eltern machen Fehler, sie sind schließlich doch nur Menschen. Das ist nicht schlimm, sofern sich das Kind geliebt fühlt. Dann wird das Trauma leicht überwunden und hat keine Langzeitfolgen.
Zu einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung kommt es nur bei gestörten Familien, bei denen die Beziehung zwischen Eltern und Kindern dysfunktional ist. Als Betroffener sollte man seine PTBS erkennen und sich um eine Heilung bemühen, damit man dieses Trauma nicht intergenerational weitergibt und so selbst zum Täter wird. Diese Arbeit ist schwer und schmerzhaft, aber wir sind sie unseren Kindern schuldig.