Einwanderungen – eine Bedrohung für unser Land?

italienische Gastarbeiter werden geschult
Vorletztes Jahr gab es eine Wannseekonferenz 2.0 – zwar nicht am Wannsee, aber der Inhalt war der gleiche wie bei der ersten 1942: Nichtarier sollen Deutschland verlassen, Migrant*Innen und ihre Nachkommen, egal ob sie sich legal oder illegal in Deutschland aufhalten, ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht. Schließlich habe die „einheimische“ Bevölkerung Vorrang und einen Verlust von 30% der Bewohner könne Deutschland ohne weiteres verkraften. Nicht nur die AfD hat an dieser Konferenz teilgenommen und will ihrer Agenda folgen, sondern auch weite Teile der CDU/CSU, deshalb ist es wichtig, sich Einwanderungen nach Deutschland einmal etwas genauer anzusehen.
Überall auf der Welt und in jedem Land gibt es Wanderbewegungen der Bevölkerung. Die meisten finden innerhalb eines Landes statt, wenn Einwohner von einem Landesteil in ein anderes umziehen, so wie in Deutschland von Ost nach West. Wir betrachten aber hier Wanderbewegungen von einem Land in ein anderes. Diese haben verschiedene Charakteristika und Gründe, die wir uns hier einmal genauer ansehen sollten.
Arten der Wanderbewegungen
- Elitewanderungen: Ein Teil einer Bevölkerung unter Führung einer Elite wandert in ein Zielgebiet aus. Diese Elite kann dort politische oder wirtschaftliche Kontrolle erlangen, ja sogar die Kultur des Ziellandes prägen. Ein Beispiel ist Erik der Rote, der eine größere Gruppe nach Grönland geführt hat.
- Massenwanderungen: Ein unzufriedener Teil einer Bevölkerung wandert auf eigene Faust in ein Gebiet aus, von dem es sich ein besseres Leben verspricht. Die Neuankömmlinge werden mit der Zeit assimiliert. Das Paradebeispiel war die USA vor Trump.
- Spezialisten-Wanderungen: Händler, Handwerker oder Menschen mit einem bestimmten Wissen, das im Zielgebiet nicht vorhanden ist, werden aus dem Ursprungsgebiet angeworben. Ein Beispiel sind die französischen Seidenweber, die in der Umgebung von Krefeld Seidenmanufakturen aufgebaut haben.
- Vertriebene: Diese Leute verlassen nicht aus eigenem Antrieb ihre Heimat, Krieg, Umweltkatastrophen oder politischer Druck zwingt sie dazu. Das Ziel steht nicht von vorne herein fest, „nur weg hier“ ist das Motiv der Flüchtenden.
Es gibt verschiedene Charakteristika, die für die ersten beiden Arten einer Wanderbewegung, vor allem aber für Massenwanderungen zutreffen:
- Es gehen nur Teile der Bevölkerung, ein anderer Teil bleibt zurück.
- Die Auswanderung ist nicht ungerichtet, es gibt Informationen über das Zielgebiet.
- Es kann auf dem Weg Hindernisse geographischer oder politischer Art geben, so dass es zu ungeplanten und zum Teil längeren Aufenthalten außerhalb des Zielgebiets kommt.
- Es gibt Rückwanderungen, etwa weil das Gras im Zielland doch nicht so grün war oder weil man Verbindung mit dem Ursprungsgebiet halten will.
- Massenwanderungen sind anders als Vertreibungen langfristig geplant, nie von heute auf morgen.
- Es geht nicht der ärmste Teil der Bevölkerung, da zur Auswanderung einen Grundstock an Kapital und Bildung notwendig ist.
Da die Begriffe und Voraussetzungen nun geklärt sind, können wir die Wanderbewegungen in der deutschen Geschichte betrachten.
Deutschland ohne Einwanderungen
Was wäre passiert, wenn Deutschland (bzw. Europa) Einwanderungen schon immer verhindert hätte? Deutschland wäre menschenleer, denn eine indigene, in Deutschland entstandene Bevölkerung gibt es nicht. Es gibt nur Zuwanderer, die einzigen möglicherweise in Europa entstandenen Menschen sind Neandertaler, die sich aus dem zugewanderten homo erectus entwickelt haben. Und diese einzig eingeborenen Menschen sind ausgestorben, wahrscheinlich an genetischer Verarmung, weil sie immer seltener wurden und Inzucht damit immer häufiger.
Die ersten Einwanderer …
In die Bresche gesprungen sind vor ca. 45.000 Jahren Wirtschaftsflüchtlinge aus Afrika: die Cro-Magnon-Menschen, benannt nach der ersten Fundstelle in der Dordogne. Afrika konnte sie aufgrund einer Klimaänderung nicht mehr ernähren. Sie waren nachgewiesenermaßen dunkelhäutige, dunkelhaarige aber blauäugige Menschen, kein homo neanderthaliensis, sondern homo sapiens. Im Gegensatz zu den an ihrer Tradition klebenden Neandertalern, deren durchaus ausgeklügelte Geräte und Waffen sich viele zehntausend Jahre kaum geändert hatten, brachten sie frischen Wind nach Deutschland: Speerschleuder und später Pfeil und Bogen, neue Fertigungstechniken von Geräten und eine erheblich weiterentwickelte Kunst und Kultur. Wären sie nicht gekommen, gäbe es ein Deutschland im besten Fall eine Neandertaler-Bevölkerung, die mit dicken Speeren Wildtieren hinterherjagt, im schlechtesten Fall wäre Deutschland menschenleer. Es ist anders gekommen: die Einwanderer haben die Reste der ursprünglichen Bevölkerung integriert – wir haben schließlich um die 3% Neandertaler-Gene – und die Technologie in Europa vorangetrieben. Aber sie sind Wildbeuter, also Jäger und Sammler, geblieben.
… die zweite Welle …
Das änderte sich erst mit einer neuen Einwanderungswelle vor ca. 10.000 Jahren. Es dauerte circa vier Jahrtausende, bis sie im Gebiet des heutigen Deutschlands ankam. Sie kamen (ausgerechnet!) aus Anatolien und dem Vorderen Orient und importierten eine wichtige Erfindung: es waren die ersten Bauern und Viehzüchter. Sie brachten Einkorn, Emmer und andere Getreidesorten mit, aus denen dann später Dinkel, Weizen und Roggen gezüchtet wurden. Und außerdem begleiteten sie domestizierte Schafe, Ziegen und aus dem vorderasiatischen Ur gezüchtete Rinder. Sie entwickelten eine neue Kultur mit Menhiren („Hinkelsteine“) und Großsteingräbern(„Hünengräber“). Ohne sie also keine Landwirtschaft und keine Viehzucht, wir würden wahrscheinlich immer noch von der Jagd leben.
… und die dritte.
Und wo bleiben die vielgerühmten Europäer, die Germanen, die Griechen, die Römer, die Kelten und die Slaven? Die sind das Ergebnis einer weiteren Einwanderungswelle, diesmal aus den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres. Die Jamnaja, wie sie heute genannt werden, brachten vor ca. 4.000-5.ooo Jahren als Morgengabe das Pferd als Reit- und Zugtier mit – und die protoindoeuropäische Sprache. Ohne sie würden wir heute möglicherweise ähnlich wie die Basken sprechen, was nicht schlechter, aber anders wäre. Aber ohne das Pferd wäre die Entwicklung Europas völlig anders verlaufen, ein hochspezialisierter Ackerbau wäre nicht möglich gewesen, denn nur mithilfe von Pferden kann man tiefgründig pflügen. Darüberhinaus haben sie den (meisten) Europäern die Milchverträglichkeit vererbt. Mich und Milchprodukte sind eine wichtige und vor allem haltbare (Käse, Quark, Kefir, …) Nahrungsquelle, die die hohe Kindersterblichkeit um circa 9% gesenkt hat.
Jüngere Einwanderungswellen
Also, hätten unsere Vorfahren die Grenzen Europas dicht gemacht, sähe Europa heute traurig aus und wäre keinesfalls einer der Motoren der Weltwirtschaft und der Kultur geworden. Aber wir brauchen gar nicht so weit zurückzugehen, um die Schädlichkeit der Ablehnung von Einwanderern zu erkennen. Hätte Deutschland nach dem 2. Weltkrieg die Grenzen dicht gemacht, wären also so um die 15-17 Millionen sogenannte Flüchtlinge nicht ins Land gekommen – oft gegen den Widerstand der angestammten Bevölkerung – hätte das Wirtschaftswunder der 50’er und 60’er Jahre nicht stattgefunden. Nach diesen Einwanderungswellen lebten in Deutschland doppelt so viel Menschen pro Quadratkilometer als vor dem 2. Weltkrieg, als Hitler die Mär vom „Volk ohne Raum“ erfand.
Die sogenannten Gastarbeiter
Später haben dann Italiener, Spanier, Portugiesen, Jugoslawen, Türken und Menschen aus dem Maghreb als sogenannte Gastarbeiter neuen Schwung in die Wirtschaft gebracht. Und viele sind geblieben und haben unsere Kultur bereichert. Ganz abgesehen davon haben sie so urdeutsche Gerichte wie Spaghetti, Pizza, Paella, Ćevapčići, Döner, Couscous und viele andere mitgebracht und damit unsere Speisekarte erheblich erweitert. Und die Einwanderer aus Südostasien, die ehemaligen Vertragsarbeiter der DDR, die uns die chinesische, vietnamesische, ja sogar die japanische und koreanische Küche nahegebracht haben, wollen wir auch nicht vergessen. Ich weiß, es gibt einen Bayerischen Ministerpräsident, der braucht das alles nicht, der isst im Wesentlichen, zumindest vor der Kamera, Nürnberger Bratwürste und Sauerkraut, aber ich finde das auf Dauer ein bisschen langweilig.
Am Beispiel der Gastarbeiter konnte man auch beobachten, wie schnell sich die Grenze zwischen „uns“ und „den anderen“ verschiebt. Die ersten Gastarbeiter waren Italiener, sie wurden als „Katzelmacher“ und „Messerstecher“ beschimpft, die deutsche Mädels verführen. Sobald allerdings Gastarbeiter einer anderen Nation angeworben wurden, gehörten sie bald zu „uns“, während den neu zugezogenen plötzlich die Rolle der „anderen“ zugewiesen wurde. Ihnen wurde das selbe Misstrauen entgegengebracht, mit dem vorher die Italienern betrachtet wurden. Plötzlich war es nicht mehr so schlimm, wenn eine Deutsche mit einem Italiener „ging“. Und so ging es jeder neu zugezogenen Gastarbeiternationalität.
Gegenbewegungen
Natürlich gab es auch Gegenbewegungen. Ein Paradebeispiel ist Bayern. Hier werden Einwohner anderer Landesteile Deutschlands als „Deutsche“ und „Preußen“ beschimpft. Man traut nur Menschen, die seit mindestens drei Generationen in Bayern leben und den örtlichen Dialekt sprechen. Darüber hinaus werden Gebildete als „Großkopferte“ bezeichnet, man traut ihnen nicht, macht aber sicherheitshalber einen Kotau vor ihnen. Bayern schottet sich gegen alles ab, was nicht auf bayerisch-bäuerlicher Tradition beruht, sogar in den Großstädten. Und seine Politiker unterstützen diese Tendenz. Wenn irgendetwas nicht passt, wird „gegrantelt“, aber nichts verändert, die politische Elite lebt diese Haltung ja vor.
Dieser falsch verstandene Konservatismus hat dazu geführt, dass die „Hauptstadt der Bewegung“ München war und nicht etwa Berlin, und dass die „Reichsparteitage“ in Nürnberg abgehalten wurden und nicht in Stuttgart oder Düsseldorf.
Gastarbeiter und Einwanderer früherer Jahrhunderte
Ach ja, und warum haben die Fernsehmacher einen bekannten Kommissar „Schimanski“ getauft? Weil es im Ruhrgebiet viele Leute mit polnischen Vorfahren gibt, die im 19. Jahrhundert eingewandert sind, um dort im Pütt Arbeit und Brot zu finden und uns die Kohle und den Stahl aus den Bergwerken zu holen, auf die sich die Industrialisierung Deutschlands stützte. Und dann fallen mir noch die französischen Einwanderer, die Hugenotten ein, die Friedrich der Große ins Land geholt hat und die zum Beispiel aus dem Nest Erlangen eine gebildete, weltoffene Industriestadt gemacht haben.
Eine Auswanderung
Als Negativbeispiel ist die Vertreibung und Ermordung der jüdischen Wissenschaftler, Forscher, Bänker und Industriellen zu nennen, die wesentlich zum Aufstieg Deutschlands beigetragen haben. Danach musste Deutschland vom wissenschaftlichen Bestand leben und hat viele Jahre gebraucht, um wieder den Anschluss an die Welt zu bekommen. Hitler und seine Genossen haben mit dieser Maßnahme Deutschland erheblich geschwächt und verarmt. Das passiert, wenn man einer rechten Ideologie folgt und nur wissenschaftliche Erkenntnisse akzeptiert, die ins eigene Weltbild passen, zum Beispiel die Entwicklung der Kernspaltung als „jüdisches Machwerk“ ausbremst und lieber Verschwörungserzählungen anhängt. Ein Beispiel aus neuerer Zeit ist die ideologiegesteuerte Bezeichnung von Windkraftanlagen als „Windmühlen der Schande“.
Die irrationale Angst
Wenn man die Geschichte betrachtet, sollten wir eigentlich keine Angst vor Einwanderern haben, wir sollten uns im Gegenteil über sie freuen, auch wenn es wie bei jeder Veränderung manchmal knirscht. Trotzdem haben viele Leute Angst. Warum?
Angstmache von Politikern, Presse und Flüchtlingsorganisationen, die damit ihr jeweils eigenes Süppchen kochen, ist der Grund. Tatsächlich hat sich die Anzahl der Einwanderer nicht verändert, sie geht nur bei Kriegen kurzfristig nach oben, fällt aber dann ziemlich schnell wieder ab. Diese angeblich ins Unermessliche stetig zunehmende Anzahl an Flüchtlingen, die ungerufen nach Deutschland kommen, ist eine Verzerrung durch falsche Statistiken, Deutschland hat früher prozentual erheblich mehr Menschen aufgenommen, ohne Schaden zu nehmen.
Fazit
Menschen haben Angst vor Veränderungen, und man kann ihnen so leicht Angst vor einem „Ansturm von Fremden“ machen, vor einer „Umvolkung“ und dass sich „Deutschland abschafft“. Dazu kommt die Angst vor Fremden mit einer anderen Kultur, die man leicht als „Versagen von Multikulti“ missbrauchen kann. Klar ist nur das Eine: eine statische Kultur, die sich nicht ändert, die keinerlei Einflüsse von außen zulässt, verliert mehr und mehr an Bedeutung. Sie wird von lebendigen, neugierigen Gesellschaften schneller überholt, als man „Bruttosozialprodukt“ sagen kann.
Deutschland hat andere Probleme als seine Einwanderer, diese werden nur als Strohmann-Problem aufgebaut, da man dieses Scheinproblem anscheinend einfach lösen kann. Hitler hat es vorgemacht: „Die Juden sind an allem schuld!“ Die wahren, komplexen Probleme zu lösen ist schwieriger und der Bevölkerung schwerer zu vermitteln.
Buchempfehlung:
Hein de Haas: Migration – 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt (S. Fischer-Verlag)