Evolution oder Intelligentes Design?
In den letzten Jahren habe ich mit Schrecken festgestellt, dass die Wissenschaft im Denken der Durchschnittsmenschen einen immer geringeren Raum einnimmt. Immer öfter werden Verschwörungstheorien oder alte Sagen als Erklärung von Phänomenen hergenommen, für die es durchaus wissenschaftliche Erklärungen gibt. Am schlimmsten sind die Leute, die sagen: „Die Aussage der Wissenschaft verstehe ich nicht, also muss sie falsch sein.“ So wird zum Beispiel die Relativitätstheorie angezweifelt, gleichzeitig nutzt man aber ein Navi, das ohne diese nicht funktionieren würde.
Ich nehme als Beispiel hier einmal die Sage vom „Intelligenten Design“ her, die die Evolutionstheorie negiert. Sie nichts anderes ist als die wörtliche Übernahme der Aussagen der Bibel in einem modernisierten Gewand. Für ein Intelligentes Design braucht es logischerweise einen Intelligenten Designer – was ein anderer Name für Gott ist. Ein Buch, das vor 2500 Jahren geschrieben wurde, um einem Stamm von Ziegenhirten die Welt zu erklären, muss aber meiner Meinung nach auch von einem gläubigen Menschen nicht wörtlich genommen werden.
Ist das Design wirklich so intelligent?
Wenn wir uns die Natur anschauen, sehen wir Lösungen, die nicht optimal, sondern gerade gut genug sind, damit die Spezies nicht sofort ausstirbt. Zum Überleben reicht es, wenn das Individuum gerade ein bisschen angepasster ist als sein Konkurrent, wenn eine Gazelle zum Beispiel gerade ein bisschen schneller läuft als die andere. Das Raubtier wird dann die langsamere fangen, eine noch größere Geschwindigkeit war also für die schnellere Gazelle nicht notwendig. Wir beobachten also, dass nicht das Optimum verwirklicht wurde – wie man es bei einem intelligenten Designer erwarten würde – sondern nur etwas, was nicht ganz schlecht ist.
Auch beobachten wir Nachteile, die nur durch Vererbung entstanden sein können, also stark für die Evolutionstheorie sprechen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Zähne der Elefanten. Elefanten kauen jeweils nur auf zwei, allerdings stark vergrößerten und mit Kauleisten versehenen Zahnpaaren von Backenzähnen (links und rechts, jeweils oben und unten). Bei der Art der Ernährung von Elefanten (Wurzeln, Zweige, …) nutzen sich Zähne schnell ab. Wenn sie weit genug abgenutzt sind, fallen sie aus und zwei neue Paare rücken nach. Das funktioniert aber nur vier Mal, dann sind keine neuen mehr da, was für den Elefanten fatal ist, denn sind die letzten beiden Zahnpaare abgenutzt, kann er nicht mehr kauen und verhungert. Warum es keinen fünften Satz Zähne gibt, lässt sich nur mit der Vererbung erklären: alle Säugetieren haben höchstens vier mal vier Backenzähne, und es ist der Evolution unmöglich, von diesem einmal festgelegten Grundbauplan abzuweichen. Die Lösung ist also nicht optimal, reicht aber gerade so aus, dass die Spezies Elefant nicht ausstirbt.
Oder denken Sie an die Hoden bei Säugetieren: Die Hoden können nur bei einer Temperatur funktionieren, die unterhalb der Körpertemperatur der Säugetieren liegt. Das haben die Säugetiere von ihren Vorfahren geerbt, bei denen das nicht weiter tragisch war, denn die waren wechselwarm. Nun müssen aber die Hoden bei den Warmblütern unbedingt kühl gehalten werden. Wie wurde das gemacht? Es wurde eine Hautfalte gebildet, in die die Hoden nach der Geburt wandern, um dort sozusagen im Freien gekühlt zu hängen. Die Hoden können sich nicht außerhalb des Bauchraums entwickeln, denn sie sind sozusagen entartete Eierstöcke. Das hat einige Nachteile. Zum einen sind die empfindlichen Hoden nicht im Bauchraum geschützt. Sie hängen frei und sind jedem Angriff schutzlos ausgeliefert. Zum zweiten entsteht durch ihre Wanderung aus dem Bauchraum heraus eine Schwachstelle in der Muskulatur, die leicht zu einem Hodenbruch führt kann. Dabei drücken sich Därme durch die Schwachstelle der Bauchmuskulatur in den Hodensack. Die werden abgeschnürt und das Tier (oder auch der Mensch) stirbt jämmerlich, wenn kein Chirurg eingreift. Und drittens funktioniert diese Wanderung der Hoden manchmal nicht, es kommt zum Hodenhochstand. Wenn der nicht chirurgisch behoben wird, sterben die samenbildenden Strukturen wegen der zu hohen Temperatur ab, Unfruchtbarkeit ist die Folge.
Wir stellen also an vielen Stellen fest, dass Problemlösungen bei Tieren und Pflanzen nicht optimal sind, wie man es bei Intelligentem Design erwarten würde, sondern suboptimal. Wenn wir die Erscheinung der Lebewesen mit der Evolutionstheorie erklären, ist das klar: die Evolution musste mit dem arbeiten, was vorhanden war und konnte nur das abwandeln, wodurch auch die Nachteile vererbt wurden. Wären diese Lösungen von einem Intelligenten Designer geschaffen worden, könnte man ihn kaum als besonders intelligent bezeichnen. Fragen Sie einen Arzt: Er könnte sich wahrscheinlich für viele einzelne Lösungen, die die Evolution gefunden hat, bessere Lösungen vorstellen. Ärzte machen meist nichts anderes als zu versuchen, die Fehler der Evolution zu reparieren.
Die drei Haupteinwände
Es gibt drei Haupteinwände, die gegen die Weiterentwicklung der Natur durch die Evolution zu sprechen scheinen. Sie scheinen schwer zu widerlegen, wenn wir sie intuitiv betrachten. Das liegt aber daran, dass unsere Intuition bei großen Zahlen und langen Zeiträumen versagt. Ein schönes Beispiel ist folgendes: Nehmen wir an, wir wollen uns eine Million Jahre vorstellen, indem wir für jedes Jahr modellhaft eine Sekunde verstreichen lassen. Das Modell der Million Jahre dauert dann etwas über 11,5 Tage. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie lange eine Milliarde Jahre in diesem Modell dauern würden. Länger, das ist klar, aber schnell, aus dem Bauch heraus, wie lange? Ich vermute, Sie haben falsch geschätzt, es sind fast 32 Jahre.
Aber nun zu den drei Haupteinwänden:
- Die Entstehung des Lebens ohne Eingriff von außen rein durch Versuch und Irrtum sei unwahrscheinlich.
Der Einwand der Kritiker der Evolutionstheorie ist, dass die spontane Entstehung des Lebens etwa so wahrscheinlich sei wie dass ein blinder Golfspieler einen Golfball mit einem Schlag einlochen würde. (Übrigens ist das tatsächlich schon einmal passiert.) Nun haben wir aber nicht einen blinden Golfspieler, sondern viele Milliarden Moleküle („Golfspieler“), die sich zu organischen Verbindungen zusammenschließen konnten, und diese hatten mindestens eine halbe Milliarde Jahre lang Zeit. Das Leben hatte also mehr Zeit und Gelegenheit, sich zu entwickeln, als wir uns vorstellen können - Keine Wirkung sei ohne Ursache, und ohne Ursache passiere nichts.
Bei einfachen linearkausalen Zusammenhängen, mit denen wir es im Alltag oft zu tun haben, stimmt das auch. Wir können uns deshalb keine Selbstorganisation vorstellen, denn für unseren Alltagsverstand muss immer eine Ursache hinter einer Entwicklung stehen. Selbst bei zufälligen Ereignissen suchen wir nach einer Absicht oder einem höheren Sinn. Nun hat die Systemtheorie aber gezeigt, dass sich ein System mit Rückkopplungsschleifen durchaus selbstständig entwickeln und erhalten kann. Dieser Vorgang nennt sich Autopoiesis. Es braucht also keinen Eingriff von außen, keine Steuerung und keine Intelligenz, die eine Entwicklung startet und erhält. - Die spontane Entstehung von Leben sei nie von Menschen beobachtet.
Das stimmt zweifellos, und die Verfechter des Intelligenten Designs betrachten das als ein starkes Argument gegen die Evolution. Denn müsse nicht heute noch Leben entstehen, wenn dazu kein Eingriff von außen notwendig sei? Denn der Zufall wirke ja bis heute.
Dass Evolutionäre Entwicklung nur zum Teil Zufall ist, lassen wir hier mal außen vor. Es gibt für die fehlende Beobachtung der spontane Entstehung von neuem Leben zwei einfache Begründungen: Wir können die Natur nicht viele Millionen Jahre lang beobachten, die spontane Entstehung von Leben war sicher ein seltenes Ereignis, das eben eine halbe Milliarde Jahre und viele Milliarden von Molekülen gebraucht hat. Und so lange und umfassend hat noch kein Mensch beobachtet.
Der zweite Grund ist, dass unsere Erde von einem aggressiven Gas verunreinigt ist, das die Vorstufen der Aminosäuren – also die Bausteine des Lebens – nicht mehr lang genug bestehen lässt, um sich zu Leben weiterzuentwickeln, denn zerfallen durch Oxidation. Das aggressive Gas ist Sauerstoff und ist das Abfallprodukt der Photosynthese, die sich eines Tages neu entwickelt hat. Das Auftreten freien Sauerstoffs, der zu Beginn von Eisen gebunden wurde und so zur Bildung von Rotsandstein führte, war, als er sich in der Atmosphäre anreicherte, eine Katastrophe für das damalige Leben, durch die die meisten damaligen Lebewesen ausgestorben sind. Die wenigen überlebenden bilden wahrscheinlich die Domäne der Archaeen. Zum Überleben der anderen Domänen mussten sich erst Einzeller bilden, die aus Sauerstoff Energie gewinnen können, ohne dass er ihnen schadet. Und die mussten eine Endosymbiose mit größeren Zellen eingehen, so dass auch denen der Sauerstoff nicht mehr schadete, sondern von ihnen sogar sinnvoll genutzt werden konnte. Diese Spezialisten sind die heutigen Mitochondrien.
Fazit
Wir sehen also, es ist nicht so einfach, wissenschaftlich zu denken, aber nicht deshalb weil die Wissenschaftler alles so kompliziert gemacht hätten, sondern weil die Natur Komplexer ist, als wir es vermuten. Deshalb behauptet auch kein Wissenschaftler, er wisse die Wahrheit, jede wissenschaftliche Aussage ist auch dann noch eine Theorie, wenn sie durch noch so viele Beobachtungen bestätigt wurde. Sie bricht durch eine einzige Beobachtung, die ihr widerspricht, zusammen. Denn wissenschaftliche Aussagen lassen es zu, dass eine Beobachtung sie widerlegt (sie „falsifiziert“). Seien Sie vorsichtig mit jeder Aussage, die behauptet, sie sei die Wahrheit und man könne sie niemals widerlegen. Diese Aussage ist zumindest nicht wissenschaftlich, sie ist überheblich, denn sie maßt sich an, in die Zukunft zu schauen, und sie ist mit großer Sicherheit falsch.