Gelassenheit
„Wenn Du Angst hast, muss Du die Angst loslassen!“ Säuselnd gibt der esoterisch angehauchte Guru seine Ratschläge. Bla, bla, bla. Ich möchte diesen Guru sehen, wenn ihm der Arzt bei einer Routinekontrolle sagt: „Das müssen wir uns aber genauer anschauen!“ Oder wenn sein Chef plötzlich spitze Bemerkungen über ihn macht. Oder wenn seine Tochter mit einer Clique abhängt, in der Drogen genommen werden. Da nützt ihm kein Loslassen, da hilft nur ein genaues Anschauen seiner Ängste, damit er etwas gegen die Ursachen tun kann. Ganz konkret und ohne Gesäusel.
Nicht loslassen …
Lieber Guru, noch einmal ganz deutlich zum Mitschreiben: Ängste loslassen heißt, sie loswerden wollen, sie also zu verdrängen. Verdrängte Ängste führen zu einer generalisierten Angst, zur „Angst vor der Angst“. Die ist noch schlimmer als die konkrete Angst, für die es konkrete Maßnahmen gibt. Nein, loslassen, dieses subtile loswerden wollen einer Angst, ist nicht die Lösung. „Mach meine Angst weg!“ funktioniert nicht, noch nicht einmal, wenn ich es zu mir selbst sage.
… sein lassen!
Was mir geholfen hat: Die Angst so lassen, wie sie war, sie also zuzulassen und zu durchleben. Ich habe anerkannt, was war und habe versucht, die Angst nicht als Feind zu sehen und zu bekämpfen. Erst als ich die Angst nicht gemieden, sondern mich ihr gestellt habe, bin ich mit ihr klar gekommen. Es hat gedauert, aber schließlich geklappt.
Erst anschließend ist mir klar geworden, woher meine Angst eigentlich kam. Ich wollte immer Erfolg haben, aber ich habe lernen müssen, dass ich immer Fehler machen werde, die manchmal schlimme und manchmal weniger schlimme Auswirkungen haben. Dass ich bei jedem Fehler lerne, und dass es deshalb nichts bringt, vor Fehlern Angst zu haben.
Und was ist mit der Gelassenheit?
Ja, ich habe Fehler gemacht und ich bin gescheitert. Aber ich bin, um mit Samuel Beckett zu sprechen, immer besser gescheitert, und bin so gelassener geworden. Ich habe gelernt, dass Gelassenheit kein Zustand ist, der anhält, sondern etwas, was man immer wieder anstrebt.
Was habe ich nun mit der Angst gemacht? Erst einmal habe ich sie mir genau angeschaut. Dann habe ich mir klargemacht, dass jeder seine Ängste hat. Die wenigsten, die sich um die Zukunft sorgen, sind psychisch krank. Ich habe mir Hilfe geholt und gelernt: „Wer keine Angst hat, ist entweder gnadenlos dumm, hat keinerlei Fantasie oder ist ein Psychopath.“ Das stimmt zwar so nicht ganz, aber der Gedanke hat mir geholfen, gelassener zu werden. So konnte mich die Angst nicht mehr beherrschen. Und ich habe diese vier Vorgehensweisen umgesetzt, die mir geholfen haben, mit der Angst zu leben.
Vier Tipps, die mir geholfen haben
- Stelle Dich Deiner Angst!
Wenn ich versucht habe, angstauslösende Situationen und Gedanken zu vermeiden, hat sich die Angst verstärkt. Es ist wie mit der Angst vor Spinnen: Die hört auch nur auf, wenn man sich mit Spinnen beschäftigt. - Halte Deine Angst aus!
Das hat etwas mit dem ersten Punkt zu tun, denn als ich das Vermeidungsverhalten aufgegeben habe, war das die Voraussetzung dafür, die Angst zu durchleben. Ich habe so gelernt, dass ich die Angst überleben kann. - Erfinde die schlimmsten Fantasien.
Wenn ich vor einer bestimmten Situation Angst habe, überlege ich mir, was das schlimmste ist, was passieren könnte. Dann überlege ich mir dazu passende Reaktionen. Dabei läuft es mir heiß und kalt den Rücken herunter, aber das kann ich aushalten. Und wenn ich in die Situation hinein gehe, weiß ich, was ich im schlimmsten Fall tun kann. Ich komme nicht in eine Angststarre. Außerdem, wenn ich weiß, was ich bei einem GAU tun werde, regen mich kleinere Pannen nicht weiter auf. - Schau Dir das Jetzt an!
Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart. Ich verspreche der Zukunft, mir dann über sie Gedanken zu machen, wenn es angemessen ist. Denn ich habe gerade etwas andres zu tun – mein Fokus ist das Jetzt.
Die Angst – Dein Freund
Das konnte ich auch nicht glauben, als die Angst mich beherrscht hat. Aber sie warnt Dich vor gefährlichen Situationen, sie hält Dich am Leben, damit Du Gefahren erkennst und überlebst. Denke an einen völlig angstfreien Autofahrer. Der wird für sich und andere zur tödlichen Gefahr, wenn er mit 100 km/h durch dichten Nebel brettert, mit dem Gedanken: „Es wird schon gut gehen, wovor sollte ich Angst haben?“ Willst Du so handeln wie der? Ich denke nicht. Also: Die Angst ist Dein Freund. Wie jeder enge Freund wird er manchmal etwas unangenehm, weil er Dich genau kennt, aber er will nur Dein Bestes. Und manchmal schießt er dabei über das Ziel hinaus. Dann brauchst Du Gelassenheit, damit aus der Angst keine Panik wird. Und dazu darfst Du die Angst als Freund auf Deine Seite holen, damit ihr gemeinsam die Probleme anschauen könnt und eine Lösung findet – auch wenn es die ist, die Situation einfach eine Zeit lang aushalten zu müssen.