Hat der Faschismus Merkmale einer psychischen Störung?
Umberto Eco (ja, genau, der mit dem Buch „Im Namen der Rose“) hat schon 1995 festgestellt, dass der Begriff „Faschismus“ immer verwaschener wird, weil alles Mögliche als faschistisch bezeichnet wird. Er hat deshalb einige Merkmale zusammengestellt, die seiner Meinung nach zum Faschismus gehören. Er schrieb, dass nicht jedes Merkmal in allen Ausprägungen des Faschismus auftreten würde, dass man aber von Faschismus reden könne, wenn viele Merkmale davon zu beobachten sind.
Ich vermute, dass Faschismus eine Krankheit der Gesellschaft ist. Deshalb habe ich habe ich mir die Merkmale, die Umberto Eco nennt, genauer angeschaut und untersucht, ob sie bei einzelnen Menschen auftreten und auf welche psychischen Schwierigkeiten sie dann oft hinweisen.
Traditionenkult
Ein Mensch, der glaubt, alles sei schon gedacht und nichts müsse geändert werden, dem fehlt es an Offenheit für neue Erfahrungen. Dieser Faktor der „Big Five“, einem Modell der Persönlichkeitspsychologie, beschreibt, inwieweit ein Mensch wissbegierig, intellektuell, fantasievoll, experimentierfreudig und künstlerisch interessiert ist. Ein Mensch, der sehr stark an Traditionen hängt, folgt fast krankhaft der Einschärfung „Denke nicht!“ und dem Antreiber „Mach es anderen recht!“ Dieses Festhalten an angeblich ewigen Werten und Normen trägt die Züge eine Normopathie. Dazu passt auch das zweite Merkmal, die …
Ablehnung der Moderne
Trotz Begeisterung des Faschismus für die Technik, die er die Lösung aller Weltprobleme zutraut (siehe auch den Futurismus in der Kunst als faschistische Bewegung), klebt der faschistische Mensch an Blut und Boden. Dies ist ein Zeichen einer Phobie, jede Veränderung wird als gefährlich wahrgenommen. Wissenschaften werden dämonisiert, ihre Erkenntnisse als „Fake“ gesehen. Die Verschwörungstheoretiker im Netz sind dafür gute Beispiele: Flat-Earther, Evolutionsleugner, Leugner der Klimaerwärmung und viele andere. Das führt sofort zum …
Irrationalismus
Jede intellektuelle Leistung wird mit Misstrauen betrachtet, denn sie ist neu und widerspricht daher dem Traditionskult. Auch hier kommt die Einschärfung „Denke nicht!“ zum Tragen, die von Eltern erstaunlich oft in Kinder eingepflanzt wird („Das Denken solltest Du den Pferden überlassen, die haben größere Köpfe!“ oder: „Du sollst nicht denken, sondern gehorchen!“). Denkt man nicht rational, muss man natürlich eine Überzeugung vertreten, die …
Ablehnung von analytischer Kritik und Meinungsvielfalt
Wissenschaft fördert Kritik: nur kritische Überprüfung einer Überzeugung führt zu Meinungsvielfalt und neuen Gedanken. Der faschistoide Mensch lehnt Kritik als Verrat an der „Reinen Lehre“ ab. Deshalb wird jede Kritik an der eigenen Überzeugung negiert. Die eigenen Theorien werden mit der Behauptung begründet: „Die Wissenschaftler sind sich ja selbst nicht einig, aber wir, wir sind uns einig. Unsere Auffassung ist also wahr!“
Dazu passt auch der selektive Populismus, der keine andere Meinung als die des „gesunden Volksempfinden“ zulässt, einer Überzeugung, dass sich alles einfach erklären lässt und dass eine Erklärung, die man nicht versteht, falsch sein muss. Leider kümmert sich die Realität nicht um Beschränkungen des Geistes, auch was Einzelne nicht verstehen, kann durchaus richtig sein. Insgesamt führen all diese Punkte zu einem Realitätskonflikt: die Wirklichkeit ist anders, als sie nach der eigenen Anforderung sein sollte. Die Realität aber als solche nicht anzuerkennen, ist ein Kennzeichen einer schizotypen Störung und von magischem Denken, das nur im Kindesalter angemessen ist. Diese Denkverbote unterstützen …
Nationalismus, Elitedenken und Heldentum
Diese drei Merkmale passen zusammen, sie behaupten, dass „Wir“ etwas Besonderes sind, dass „Wir“ allen anderen überlegen sind. Dies ist ein Zeichen eines paranoiden Unterlegenheitsgefühls, der Angst vor dem „nicht dazu gehören“. Nationalismus und Elitedenken folgt dem Antreiber „Sei perfekt!“, der entsteht, wenn ein Mensch nicht seiner Selbst wegen geliebt wird, sondern nur aufgrund seiner Leistungen. Das Heldentum folgt der Einschärfung „Fühle nicht“, die wir alle von den Sätzen „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „Was uns nicht tötet, macht uns stärker“ kennen. Mitgefühl ist dann nicht möglich, aber die Angst vor dem Alleinsein und das Unterlegenheitsgefühl wird damit übertüncht. Dazu passt auch die …
Angst vor Fremden
Fremde werden dämonisiert. Sie haben eine Weltverschwörung angezettelt mit dem Ziel der Weltherrschaft, der Vernichtung der Deutschen oder was sonst gerade passt. Wieder kommt das Unterlegenheitsgefühl nach oben, das dadurch bekämpft wird, dass „die Fremden“ vernichtet werden müssen. Ein Beispiel dafür ist die Vernichtung der Juden, vor denen die Nationalsozialisten eine schreckliche Angst hatten, ein anderes die heutigen Versuche, Geflüchtete zu verletzen oder zu töten. Der Kampf gegen die Fremden, die Xenophobie, führt direkt zu der folgenden Auffassung …
Das Leben ist ein Kampf
Anderes hat im Leben keinen Platz. Ich muss Allen beweisen, dass ich überlegen bin. „Sei stark!“ ist der passende Antreiber, der Eltern Kinder prügeln lässt, wenn sie Schmerz zeigen. Der Gewinn von Ehre durch Heldentum ist das Ziel, und wehe, jemand zweifelt die Ehre an. Wer im Leben auch anderes als Kampf und Krieg sieht, als Streben nach Schönheit und Liebe zum Beispiel, wird als „Memme“ und als „entartet“ verachtet. Dieses Verhalten ist ein Merkmal der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Wer Mitgefühl und Liebe zu einem anderen Menschen ablehnt, kommt aber zwangsläufig zu dem Schluß …
Sexualität ist schmutzig
Sexualität lenkt nur vom Heldentum ab, und wenn der faschistoide Mensch sie ausübt, verachtet er hinterher das Objekt seiner Begierde. Es kommt zu ungewöhnlichen Sexualpraktiken bis hin zur Asexualität. Der Sexualtrieb wird in phallischen Ersatzübungen beim Spiel mit der Waffe ausgelebt. Sonderbarerweise erkennen faschistoide Frauen diese Verachtung ihrer Person und ihre Reduzierung auf eine Funktion – der Mutterschaft – nicht oder nehmen sie billigend in Kauf. Das deutet auch bei ihnen auf Minderwertigkeitsgefühle hin, die ihr Leben in masochistische Bahnen lenkt.
Fazit
Der Faschismus als Bewegung stützt sich immer auf Menschen, deren Schwächen und Probleme er gnadenlos ausnutzen kann. Die faschistischen Führer sind sicherlich oft soziopatisch veranlagt, ihre Gefolgschaft aber ist eher von einer selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeit geprägt, die weitere, oben genannte Merkmale nach sich zieht. Interessant ist, dass das antisozialen Verhalten gegenüber den „Anderen“ durch ein übertriebenes soziales Verhalten gegenüber der eigenen Gruppe ausgeglichen wird.
Wenn Sie das eine oder andere oben genannte Merkmal auch bei sich bemerken, sagt nicht unbedingt, dass Sie dem Faschismus zugeneigt sind. Trotzdem sollten Sie Ihre Auffassungen überprüfen. Wenn Sie Ihre Schwachpunkte kennen, können diese Sie nicht mehr überrumpeln.
Eines ist auf jeden Fall sicher: Ein Mensch wird nicht als Faschist geboren, er wird dazu erzogen. Eine bindungslose, lieblose Erziehung führt zu einem Menschen, der seiner Selbst nicht bewusst ist und Rattenfängern nachläuft, weil er sich von denen die Anerkennung erhofft, die er von seinen Eltern nicht erfahren hat. Wir als Eltern haben die Verantwortung, unsere Kinder zu freien, selbstbestimmten und selbstbewussten Persönlichkeiten zu erziehen. Sie sind dann stark, zu stark, den Verlockungen des Faschismus zu erliegen.