Kinder und ihre Bedürfnisse I
Kinder lernen von ihren Eltern. Das ist gut! Denn so müssen sie nicht alles selbst erfahren, sondern können die Erfahrungen ihrer Eltern übernehmen. Durch die Weitergabe von Wissen an die Kinder ist die Menschheit so erfolgreich geworden.
Kinder lernen von ihren Eltern. Das ist schlecht! Denn so übernehmen sie die Fehler der Eltern, automatisch und ohne dass sie sich Gedanken darüber machen konnten. Denn, wenn sie das Verhalten übernehmen, sind sie noch nicht in der Lage, sich eigene Gedanken zu machen. So übernehmen sie auch Lösungen der Eltern, die, aus welchen Gründen auch immer, für sie nicht angemessen sind.
Wie Karl Valentin so treffend, wenn auch übertrieben pessimistisch sagte: „Erziehung ist zwecklos, die Kinder machen uns ja doch alles nach!“
Die ideale Erziehung
Wir sind keine idealen Menschen, und auch keine idealen Eltern. Wir können unseren Kindern keine ideale Erziehung bieten, genau so wenig, wie unsere Eltern uns eine ideale Erziehung zukommen lassen konnten. Es wäre auch schlimm für unsere Kinder, wenn wir ideale Eltern wären. Sie kämen sich dann immer klein vor und würden nie lernen, mit Fehlern umzugehen. Denn Kinder nehmen sich ihre Eltern als Modell und lernen von ihnen, wie man mit dem Leben umgeht. Da die Eltern ihnen wichtig sind, versuchen sie auch loyal zu ihnen zu sein, ihren Eltern nachzufolgen. Klar, in der Pubertät merkt man davon nichts, aber auch da lernen die Kinder, dass wir sie lieben, selbst wenn sie unausstehlich sind. Auch dazu ein Bonmot: „Wenn Du Deinen Kindern Liebe predigst, lernen sie nicht zu lieben, sondern zu predigen.“
Kleinkinder
Kleine Kinder halten ihre Eltern für allwissend und omnipotent. Sie haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die Eltern Dinge können und wissen, die ihnen selbst noch nicht gelingen. Und so ist ihr dringlichster Wunsch, „groß“ zu werden, und das heißt in ihren Augen, so zu werden wie ihre Eltern.
Es kommt zu einer ersten Krise in der Beziehung, wenn sie merken, dass die Eltern doch nicht alles wissen und können. Die Kinder sind dann sauer und fühlen sich hintergangen, denn sie können nicht wissen, dass sie selbst ihren Eltern diese gottähnliche Rolle zugewiesen waren. Leider fühlen sich auch viele Eltern nicht wohl, wenn sie plötzlich von ihren Kindern nicht mehr rückhaltlos „angebetet“ werden.
Falsche Götter
Unsichere Eltern möchten diesen Status gerne beibehalten, um selbst größer zu sein und ihre Unsicherheiten nicht zeigen zu müssen. Um die eigene Gottähnlichkeit weiter zu erleben, werden sie versuchen, die Kinder weiter „klein“ zu halten. Sie werden den Kindern erzählen, dass sie alle wissen, was die Kinder tun und lassen und dazu ein Spitzelnetz aufbauen. Sie werden den „Eigen-Sinn“ der Kinder zu brechen suchen, damit diese ihnen weiter untertan sind, ohne die Rolle der Eltern infrage zu stellen.
Wenn Eltern für ihre Kinder gottähnlich sind, können sie zwei Sorten von Göttern sein. Zum einen ein gütiger, verzeihender, nachsichtiger und leitender Gott wie im Christlichen Bild des Guten Hirten. Der kümmert sich um die Belange der Kinder, ohne sie über Gebühr einzuschränken. Oder Eltern sind wie ein strenger, strafender und eifersüchtiger Gott, wie er im Alten Testament beschrieben ist, der eine genaue Befolgung aller Regeln und Vorschriften verlangt, ohne den Kindern hinreichend „Spiel-Raum“ zu geben.
Die kritischen Eltern
Es gibt Eltern, die glauben, nur der zweite Weg würde zu wohlerzogenen Kindern führen, die die Eltern ehren. Sie haben gehört und erlebt, dass Kinder rechtzeitig gebrochen werden müssen, damit sie sich nicht zu Tyrannen auswachsen. Sie verwechseln dabei Erziehung mit Dressur und ehren mit fürchten. Wollen die so erzogenen Kinder als Erwachsene ein selbstbestimmtes Leben führen, sind sie gezwungen, mit den Eltern zu brechen, was weder ihnen noch ihren Eltern gut tut. Schaffen die Kinder den Bruch nicht, werden sie nie ihr eigenes Leben führen, sondern immer das ihrer Eltern.
Die fürsorglichen Eltern
Fürsorgliche Eltern – und ich denke, das wollen wir alle sein – haben es nicht leicht. Vor allem, wenn die eigenen Eltern kritisch waren und sie nie ein Modell der Fürsorge erfahren haben, dem sie nachfolgen können. Denn in Stress-Situationen, wenn wir keine Zeit haben, nachzudenken, fallen wir gerne in das Verhalten zurück, das wir in der Kindheit modellhaft gelernt haben.
Es ist deshalb sinnvoll, sich die seelischen Grundbedürfnisse der Kinder klar zu machen, also die, die über die materiellen Bedürfnisse hinausgehen. Wir sollten uns darüber hinaus klar machen, was passiert, wenn diese Bedürfnisse missachtet werden. Schließlich sollten wir an den Mängeln arbeiten, die uns selbst mitgegeben wurden.
Eine Liste der Grundbedürfnisse
Im nächsten Blockbeitrag werde ich deshalb die wichtigsten dieser Bedürfnisse schilden. Und ich werde auch beschreiben, was passiert, wenn sie nicht befriedigt werden. Dennoch haben wir die Möglichkeit, uns von den so entstandenen Mängeln zu lösen, und auch diese Lösungssätze werde ich in die Liste aufnehmen. Es mag sein, dass Sie das meiste kennen, aber vielleicht gibt es doch das eine oder andere, was noch neu für Sie ist. Möglicherweise erkennen Sie sich oder Ihre Eltern auch an manchen Stellen wieder.