Krisen und Paradigmenwechsel
Was ist eine Krise?
Der Begriff der Krise wird oft inflationär verwendet, für Zustände, die keine Krisen sind. Wir sollten uns also zuerst einmal darüber im Klaren werden, was eine Krise ist und was sie von anderen unerwünschten Zuständen unterscheidet.
- Eine kritische Situation ist dann gegeben, wenn der momentan herrschende, durchaus als positiv erlebte Zustand in einen unerwünschten umzuschlagen droht. Ein Nichthandeln hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass in naher Zukunft eine Ist-Soll-Differenz zum erwünschten Zustand entsteht. Handeln ist also angesagt, auch wenn noch niemand den unerwünschten Zustand erlebt.
- Bei einem Problem wird die Ist-Soll-Differenz bereits erlebt. Das heißt, der unerwünschte Zustand ist eingetreten. Allerdings gibt es Erfahrungen mit diesem oder ähnlichen Problemen, sodass mögliche und vielleicht sogar erprobte Lösungen aus der Vergangenheit vorliegen. Es sind also Lösungen bekannt oder zumindest vorstellen.
- Wenn ein Problem die Erfüllung von Grundbedürfnissen unmöglich macht, liegt eine Katastrophe vor. Diese ist ernster als ein Problem, aber mit bekannten Mitteln beherrschbar. Ein Beispiel ist eine Hungerkatastrophe, die durch Lieferungen und die Verteilung von Nahrungsmitteln gelöst werden kann.
- Eine Krise kann die Folge einer Katastrophe sein. Der krisenhafte Zustand kann und darf auf Dauer nicht bestehen bleiben, es ist schnell eine Lösung zu finden. Allerdings gibt es für die Krise keine Musterlösung aus der Vergangenheit. Routinemäßiges Vorgehen kann zu Krisen zweiter Ordnung führen, bei dem die angebliche Lösung eine weitere Krise auslöst.
In der Regel haben die Beteiligten also keine Ahnung, welche Maßnahmen aus der Krise herausführen, ohne dass weiter Krisen entstehen. Der Zustand ist überwältigend bedrohlich, die bekannten Lösungen aber auch. Sie stehen also vor einem Dilemma. Ein „Weiter so!“, was manchmal für ein Problem eine Lösung sein kann, ist in der Krise keine Lösung.
Wie komme ich in der Krise zu einer Lösung?
Wie wir gesehen haben, verlangt die Krise neue, bisher nicht gedachte oder zumindest nicht denkbare Lösungen. Eine mögliche Methode, um zu bisher nicht gefundenen Lösungen zu kommen, ist das Tetralemma.
Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer haben bei ihren Systemischen Aufstellungen das Tetralemma der indischen Logik als einen Lösungsprozess für ein Dilemma begriffen, bei dem zwischen zwei (oder mehr) Lösungen nicht entschieden werden kann, da beide nicht zum gewünschten Erfolg führen oder negative Konsequenzen nach sich ziehen.
Wenn wir von zwei zunächst unvereinbaren Positionen ausgehen, die wir hier das Eine und das Andere nennen, und wir uns aus oben genannten Gründen weder für das Eine noch das Andere entscheiden können, liegt ein typisches Dilemma vor.
Wir könnten versuchen, eine dritte Position zu finden, die das Eine und das Andere miteinander vereinbart und die wir hier Beides nennen. Diese Lösung ist ein typischer Kompromiss. Vielleicht finden wir auch während dieses Prozesses heraus, dass das Eine und das Andere nur Scheingegensätze sind.
Ist auch Beides keine Lösung, sollten wir über eine vierte Position nachdenken, die wir Keins von Beiden nennen. Diese Position ist eine Musterunterbrechung, denn sie führt aus dem bestehenden Dilemma heraus. Weder das Eine noch das Andere spielen bei dieser Position eine Rolle, sie werden bedeutungslos, da ein Refraiming stattfindet. Wir verlassen also die Grenzen unseres bisherigen Denkens und geben der Krise einen neuen Rahmen.
Ist auch diese vierte Position keine Lösung, sollte über eine fünfte nachgedacht werden, die nicht nur den Rahmen der Positionen, sondern auch den der Krise verlässt. Diese Position ist eine Musterunterbrechung und wird mit dem Satz „All dies und selbst das nicht“ oder mit „Zeige mir die unmögliche Möglichkeit“ angesprochen.
Krise als Chance
In einer Krise werden bisher als problematisch angesehene Entscheidungen plötzlich möglich. Die Nachteile der bisher nicht möglichen Lösungen werden irrelevant, Paradigmenwechsel werden gewagt.
Dazu darf allerdings die Krise nicht zu schnell als beendet erklärt werden. Der neuen Lösung, die neue Chancen eröffnet, aber wie jede Maßnahme auch Nachteile mit sich bringt, muss Zeit gegeben werden, sich zu etablieren. Ein typisches Beispiel ist die Corona-Krise, bei der es für Firmen notwendig wurde, Mitarbeiter die Arbeit im Home-Office zu ermöglichen. Manche Firmen haben die Chance dieser gar nicht so neuen Arbeitsweise erkannt und werden sie nach der Krise fortführen. Andere hingegen können es gar nicht erwarten, dass die Krise als beendet erklärt wird, um ihre Mitarbeiter, denen sie grundsätzlich misstrauen und die sie nicht anders als durch ständige Überwachung führen können, wieder im Blick zu haben.
Besonderheiten persönlicher Krisen
Persönliche Krisen wie Streit, Mobbing, traumatische oder suizidale Krisen zeichnen sich durch eine verengte Wahrnehmung des Betroffenen aus. Dieser sogenannte Röhrenblick macht das Erkennen des wahren Wesens der Krise und das Finden von Lösungen ohne fremde Hilfe sehr schwer.
Persönliche Krisen werden nur dann vom Betroffenen als solche erkannt, wenn dieser das Ziel hat, die Krise zu bewältigen. Dazu gehört das Erkennen einer Soll-Ist-Diskrepanz und der Wille zur Veränderung, auch wenn diese mit hohem Aufwand verbunden ist. Das Ohnmachtserleben bei schweren Krisen macht es in vielen Fällen unmöglich, ohne Begleitung sinnvoll zu handeln. Es führt zu Konfusionen, die eine Zielklärung erschweren, wenn der Betroffene ohne Hilfe ist.
Fazit
Echte Krisen können eine starke Belastung sein, sowohl als persönliche Krisen als auch als Krisen von Systemen. Dabei lösen System-Krisen oft auch persönliche Krisen aus.
Hilfe bei der Suche nach Zielen und Lösungen im Zusammenhang mit Krisen können die Lösungsfokussierte Gesprächsführung oder die Systemische Aufstellung bieten. Wenn Sie sich dafür interessieren, kontaktieren Sie mich bitte.
Dieser Beitrag wurde durch einen Vortrag von Stefan Junker angeregt.