Verschwörungstheoretiker
Bin ich im Internet unterwegs, stolpere ich überall über sie: Verschwörungstheorien!
Immer wieder werden neue Wahrheiten verbreitet, die bisher niemand, außer dem Autor und einer kleinen Gruppe gleichfalls Aufgeklärter, erkannt hat. Sei es 9/11 (die CIA hätte die Türme gesprengt), die Mondlandung (das sei ein gefälschter Film) oder die Erde selbst (sie sei flach und habe die Form einer Pizza), die abstrusesten Theorien werden da vertreten.
Gefährliche Verschwörungstheorien
Dabei sind Verschwörungstheorien keine neue Sache. Schon zu Beginn der Neuzeit ab 1450 n.Chr. kam eine besonders gefährliche auf. Zu dieser Zeit begann die sogenannte Kleine Eiszeit, eine Epoche, in der es kälter war als gewohnt, in der es manchmal sogar im Juni schneite. Das Korn verrottete auf den Feldern, die Menschen hungerten. Die Pest breitete sich begünstigt durch die Unterernährung der Menschen aus. Und so brauchten die Menschen Schuldige. Und bald waren die auch gefunden: Hexen. Zu Hunderten wurden sie gefunden, gefoltert, verurteilt und verbrannt. Als die Kleine Eiszeit Anfang des 18. Jahrhunderts nachließ, war auch bald die Hexenverfolgung vorbei, 1756 wurde in Deutschland die letzte Frau wegen Hexerei hingerichtet.
Eine nicht weniger gefährliche Verschwörungstheorie wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einer Fälschung gestützt: „Protokolle der Weisen von Zion“. Das sollen die Protokolle von Reden sein, die einflussreiche Juden auf einem jüdischen Kongress gehalten hätten. Dabei geht es vor allem darum, den Juden ein Interesse an der Erringung der Weltherrschaft zu unterstellen. Diese Fälschung hat den weltweiten Hass gegen Juden befeuert, ohne den es nicht zum Holocaust in Deutschland gekommen wäre. Auch in anderen Staaten hatte es Auswirkungen. Sie weigerten sich, aus Deutschland geflüchtete Juden in größerer Zahl aufzunehmen und überließen sie so ihrem Schicksal.
Auch heute ist eine solche gefährliche Theorie aktuell: Emigranten würden von einer geheimen Macht nach Europa geschickt, um den Kontinent zu destabilisieren. Diese geheime Macht ist dann je nach Lesart der Weltislam, oder die eigene oder eine fremde Regierung, vielleicht auch Politiker oder andere mächtige Männer, die sich verschworen hätten. Diese Theorien sind gefährlich, weil sie Migranten zu Feinden macht, zu Fremden, die wie die Juden im „Dritten Reich“ ausgemerzt werden müssten. Dummerweise haben wir inzwischen das Internet, durch das sich solcher Blödsinn schnell verbreitet.
Was ist das Ziel?
Das Ziel solcher Verschwörungstheorien ist immer, ein „Wir“-Gefühl zu erzeugen, indem man eine feindliche, gegen „Uns“ gerichtete Kraft postuliert. Sei es das Weltjudentum oder der Islam, die die Weltherrschaft anstreben, die CIA oder die NASA, die sich unersetzlich machen wollen, oder die Wissenschaftler, die z.B. mit der Theorie, die Welt sei eine Kugel, Geld verdienen wollen. Man kann diesen Verschwörungstheoretikern so viele einleuchtende Beweise gegen ihre Theorien liefern, wie man will – sie halten an ihrer Überzeugung fest. Denn sie haben inzwischen so viel Aufwand in die Entwicklung und die Propagierung ihrer Theorien gesteckt, dass sie dieses Pferd immer weiter reiten müssen, auch wenn es längst tot ist.
Evolutionäre Grundlagen der Verschwörungstheorien
Wie sieht also der typische Verschwörungstheoretiker aus? Ist er ein finsterer Geselle, der einsam in einem Kellerloch über seiner Theorie brütet? Keineswegs, es ist ein Mensch wie Du und ich, denn es liegt in der Natur des Menschen, solche Theorien zu entwickeln und zu glauben. Es sind Denkfehler, die wir alle machen, weil sich bestimmte Denkweisen im Laufe der Evolution als sinnvoll erwiesen haben. Übertreibt man sie aber, werden sie zu Denkfehlern.
- Menschen glauben, dass eine Erscheinung auch immer eine Ursache haben müsse. Den Zufall als Ursache lassen sie nicht gelten. Das hat gute Gründe: Wenn unsere Vorfahren ein Rascheln im Gebüsch hörten, waren sie gut beraten, an einen Löwen zu glauben, der das Geräusch erzeugt hatte. War es kein Löwe, sondern Ein Zufall, waren sie nur einmal umsonst weg gelaufen. War es aber kein Zufall, und sie waren nicht weggelaufen, hatten sie den Darwin-Award gewonnen und sich aus der Vererbung ihrer Gene final ausgeschlossen. Der Löwe hatte sie gefressen.
- Eng damit zusammen hängt, dass wir auch dann kausale Zusammenhänge sehen, wo keine sind. Wir suchen Muster, die uns das Denken vereinfachen.
- Deshalb sind Verschwörungstheorien immer einfach – jedenfalls auf den ersten Blick. Erst wenn man tiefer über die Zusammenhänge nachdenkt, muss man immer kompliziertere Annahmen treffen, um die Theorie aufrechterhalten zu können. Jemand, der einen komplizierten Zusammenhang einfach und möglichst monokausal erklärt („Die Immigranten sind an allem schuld!“), dem glauben wir gerne, denn das ist bequem.
- Wir versuchen, die Welt zu erklären. Was unerklärlich ist, wird vereinfacht, zum Beispiel durch das Wirken einer höheren Macht. Donner und Blitz werden durch das Wirken eines Gottes erklärt, solange wir das Prinzip der elektrischen Auf- und Entladung nicht verstanden haben. Komplizierte weltpolitische Zusammenhänge werden durch das Wirken mächtiger geheimer Verschwörungen erklärt. Die nur schwer verständliche Evolution wird durch die Schöpfung eines Gottes oder den Eingriff Außerirdischer scheinbar simplifiziert.
- Bei anderen Menschen suchen wir immer nach den Motiven für ihr Handeln. Das ist sinnvoll, denn wenn man sich in andere Menschen hineinversetzen kann, vereinfacht es das Zusammenleben. Können wir die Motive nicht erkennen, machen wir für das Handeln schnell eine Verschwörung verantwortlich.
Warum sind wir nicht alle Verschwörungstheoretiker?
Uns allen sind diese Muster von der Evolution eingeprägt, aber glücklicherweise handeln wir nicht immer nach ihnen. Denn sonst wären wir alle Verschwörungstheoretiker. Psychologen sehen bei diesen den Hinweis auf eine schizotypische Persönlichkeit. Vor allem folgende Merkmale begünstigen das Auftreten verschwörungstheoretischen Denkens:
- Starkes Misstrauen gegen Menschen, deren Denken und Handel nicht verstanden werden, zum Beispiel gegen Wissenschaftler.
- Soziale Angst, verbunden mit der Überzeugung, die Welt sei gefährlich.
- Neigung zu verzerrten Wahrnehmungen, vor allem, dass irgendwelche Sachverhalte als bedeutsame Zusammenhänge interpretiert werden.
- Neigung zum verbissenen Festhalten an einmal gefassten Überzeugungen.
Dazu kommt, dass die Verschwörungstheoretiker nie Fachleute auf dem Gebiet ihrer Theorie sind. Ihr Wissen ist möglicherweise punktuell tief, aber lückenhaft, und diese Lücken werden mit der Theorie geschlossen.
Was können wir tun?
Wenn überhaupt, hilft nur Aufklärung und die Anleitung zu rationalem Denken. Einen echten Verschwörungstheoretiker kann man allerdings kaum überzeugen, vor Beobachtungen, die seine Theorie widerlegen, schließt er einfach die Augen.
Aber wir sollten vor allem uns selbst beobachten: Halten wir die eine oder andere Theorie für wahrscheinlich? Betrachten wir nur Aussagen, die diese Theorien stützen und nehmen die Gegenargumente nicht zur Kenntnis? Unterstellen wir den Gegnern solcher Theorien bösartige Motive? Nutzen wir bei der Betrachtung dieser Theorien den Grundsätzen von Ockhams Rasiermesser, folgen wir also der einfachsten Erklärung, die wenige, naheliegende Voraussetzungen erfordert?
Also, wie immer: Erst mal vor der eigenen Türe kehren. Und erst dann den Splitter im Auge des Nächsten suchen. Und die Konsequenzen der Theorien immer zu Ende denken.