Kinder eines narzisstischen Elter I
Ich benutze in diesem Text den Fachausdruck „das Elter“, also Eltern im Singular und Neutrum. Damit ist Vater oder Mutter gemeint, denn in den allermeisten Fällen ist nur ein Elternteil narzisstisch, weil Narzissten keinen anderen Narzissten neben sich dulden können.
Jeder Mensch hat ein gewisses Maß an Narzissmus und braucht das auch, um zu überleben. Er muss sich selbst und seine Bedürfnisse achten. Wächst sich dies aber zu einer narzisstischen Störung aus, ist er für die Umwelt nur schwer zu ertragen, da er aufgrund seiner Störung antisozial handelt.
Besonders schwer haben es Kinder eines narzisstischen Elters, da diese aufgrund ihrer Abhängigkeit von diesem Elter und ihrer emotionalen Bedürftigkeit besonders vulnerabel sind und auf eine gesunde Relation zu ihren Beziehungspersonen angewiesen sind. Die von Natur aus asymmetrische Beziehung zwischen Eltern und Kind wird vom narzisstischen Elter verzerrt und ausgenutzt.
Diese Kinder leiden oft an einer komplexen posttraumatische Belastungsstörung und mangelndem Selbstwertgefühl, was mit Schwierigkeiten beim Beziehungsaufbau zu anderen Personen einhergehen kann. Diese Störungen können sie nur abbauen, wenn sie die Störung ihres narzisstischen Elters erkennen und geeignete Maßnahmen ergreifen. Eine Heilung der Kinder ist schwierig, aber keineswegs unmöglich.
Grandioser und vulnerabler Narzissmus
Es gibt zwei Arten des Narzissmus, den grandiosen und den vulnerablen Narzissmus. Beiden ist gemeinsam, dass der Narzisst die ganze Welt nur aus seinem Blickwinkel sieht, er bezieht alles, was geschieht, auf sich selbst. Deshalb hat er kein Gewissen und kein Mitleid, denn er weiß, was er tut und hält sein Verhalten für gerechtfertigt und angemessen. Von daher ist Emphatie einem Narzissten fremd.
Der grandiose Narzisst ist extravertiert und tritt oft sehr bestimmend auf. Er hält sich für den wertvollsten Menschen, alle anderen müssen ihm darin zustimmen, sonst ist er beleidigt. Im Gegensatz dazu macht sich der vulnerable Narzisst selbst klein, erwartet aber dann, von anderen hochgelobt zu werden. Er fühlt Angst und Stress und verlangt von seiner Umwelt, ihn von diesen unangenehmen Gefühlen zu befreien. Er kann aber durchaus auch histrionische Züge (=egozentrisch, dramatisch-theatralisch, manipulativ und extravertiert) zeigen. Beide sind also von der Bewunderung und Wertschätzung ihrer Umgebung abhängig, fehlt diese, sind sie sofort gekränkt, wobei sie diese Kränkung aber nicht zeigen, sondern auf eine Gelegenheit zur Rache warten.
Das Verhalten narzisstisch gestörter Eltern
Kinder eines narzisstisch gestörten Elters tragen von klein auf eine schwere Last, denn sie müssen, um die Liebe ihres Elters zu erlangen, so leben, wie dieser sich das vorstellen. Ein narzisstisches Elter betrachten seine Kinder als eine Erweiterung seines eigenen Selbst, nicht als eigenständiges Individuum. Natürlich bildet ein Kleinkind in den ersten Lebensmonaten mit seiner Hauptbezugsperson, meistens der Mutter, eine symbiotische Beziehung aus, aber es liegt in deren Verantwortung, diese Schritt für Schritt zu lösen und so dem Kind ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.
Soll das Kind die Bedürfnisse des Elter erfüllen und es somit emotional versorgen und dafür sorgen, dass es diesem gut geht, kann die Auflösung der Symbiose nicht gelingen. Die symbiotische Verbindung ist die Voraussetzung dafür, dass das Kind diese Ansprüche erfüllt. Es findet also eine geradezu perverse Umkehrung des Elter-Kind-Verhältnisses statt, das Kind wird parentifiziert, das heißt zum Vater oder der Mutter des narzisstischen Elters gemacht. Das narzisstisch gestörte Elter hat darüber hinaus kein Einfühlungsvermögen, es versteht nicht, was das Kind in seiner Situation braucht, da es ja alles nur aus eigener Warte sieht. Es macht also unter Umständen sehr viel für das Kind, aber nie das, was das Kind wirklich braucht.
Eine Folge des Narzissmus ist auch, dass ein solches Elter jedes Verhalten des Kindes auf sich bezieht. Verhält es sich nicht so, wie sich das Elter vorgestellt hat, dann tut es das (in der Vorstellung des Elter) nur, um das Elter zu ärgern und zu piesacken. Dass ein Kind einfach mal andere Bedürfnisse oder einfach einmal einen kleinen Fehler gemacht hat, kann sich ein Narzisst nicht vorstellen. Es muss von daher für alle möglichen „Fehlverhalten“ bestraft werden, mit seelischer oder körperlicher Misshandlung.
Was ein Fehlverhalten ist, ist allerdings nicht konstant, sondern wechselt je nach Laune des Narzissten. Einmal wird es für ein Verhalten bestraft, ein anderes Mal lacht des Elter nur über dasselbe Verhalten oder nimmt es überhaupt nicht zur Kenntnis.
Das Helikopter-Elter
Das typische Helikopter-Elter räumt seinem Kind alle Hindernisse aus dem Weg, lässt ihm aber andererseits keine Freiheit, sich eigenständig für oder gegen etwas zu entscheiden, es lässt dem Kind keine Luft zum Atmen. Es verlangt, dass sich ihre Kinder genauso verhält, wie das Elter es für richtig hält. Das Kind soll das erreichen, was das Elter narzisstisch gekränkt hat, da es dieses Ziel verfehlt hat. Das Helikopter-Elter leidet an einem Kontrollzwang, es muss immer ganz genau wissen, wo das Kind ist und was es gerade macht. Das Kind darf sich weder körperlich noch geistig weit entfernen.
Trifft das Kind trotz allem einmal eine eigene Entscheidung, wird ihm sofort vorgeworfen, dass das Ergebnis ein „Fehler“ sei. Denn das Elter habe ein anderes Ergebnis erwartet. Es wird gesagt: „Hättest Du Dich nach mir gerichtet, hättest Du mich vorher gefragt, wäre der Fehler nicht passiert.“ Die Kinder dürfen sich nicht ausprobieren.
Oft wird dieses Kind zur vollständigen Unselbstständigkeit erzogen, indem das Elter ihm alles abnimmt. Will das Kind sich von dieser Abhängigkeit lösen, wird es auf einmal vor eine große Aufgabe gestellt, die es völlig überfordert, weil es sich nie an kleinen Aufgaben ausprobieren durften. Und wenn es dann an dieser Aufgabe erwartungsgemäß scheitert, wird ihm suggeriert, dass es ohne das Elter lebensuntüchtig und völlig unfähig sei, da es noch nicht einmal eine solche kleine Aufgabe eigenständig lösen könne. Damit wird es an das Elter gebunden. Das geht so weit, dass es sich keinen Lebenspartner suchen darf und emotional auch nicht kann, weil es ja damit sein Elter verlassen würde. Es gibt Kinder, selbst verheiratet und Eltern, die nicht in der Lage sind, sich selbstständig ein Kleidungsstück zu kaufen. Das Machtgefälle zwischen Elter und Kind wurde künstlich groß gehalten und damit eine Abhängigkeit erzeugt.
Allerdings sind nicht alle Helikopter-Eltern narzisstisch gestört, einige verhalten sich aus bester Absicht so. Sie wollen ihren Kindern helfen und schaden ihnen damit, machen sie auch ohne Absicht von sich abhängig. Das (erwachsene) Kind sollte also prüfen, warum sich sein Elter so verhalten hat, damit es die anerzogene Unfähigkeit bewerten und ablegen kann.
Das vernachlässigende Elter
Eine andere Verhaltensweise eines narzisstischen Elters ist die Vernachlässigung seiner Kinder. Da sie so auf sich selbst konzentriert sind, stören Kinder nur. Diese Kinder müssen also sehr schnell erwachsen und selbstständig werden. Wenn das narzisstische Elter allerdings einmal etwas für das Kind getan hat, wird es das verallgemeinern: „Nun schau mal, was ich immer für Dich tue, Du kannst froh sein, dass Du mich hast!“ Dadurch wird das Kind an das Elter durch dessen Dankbarkeitsanspruch gebunden, und wenn es keine Dankbarkeit spürt, wird es ein schlechtes Gewissen haben. Dankbarkeit zu empfinden, fällt ihm aber vor allem deshalb schwer, weil es die Absicht hinter dem Tun des Elters spürt.
Das narzisstische Elter will nach außen nicht als vernachlässigend erscheinen, denn es tarnt dieses Verhalten gut. Es wird das Kind also wie ein dressiertes Äffchen vorführen: „Mein Kind ist ja schon so selbstständig und vernünftig!“ Diese Kinder dürfen also nie Kinder sein, nur kleine Erwachsene. Ein typischer Spruch, den ein solches Kind möglicherweise hört: „Hast Du Hunger? Dann mach Dir was zu essen, Du kannst das ja. Und wenn Du schon dabei bist, mach‘ mir auch was!“
Geschwister
Gibt es ein oder mehrere Geschwister, wird das narzisstische Elter oft ein Pechkind und ein Goldkind auswählen, also eines was immer alles richtig macht und dem jeder Fehler und jede Frechheit nachgesehen wird, und ein anderes, dem jede Schuld gegeben und das ständig bestraft wird. Das Elter handelt nach dem Motto „Divida et Impera“, es wird sogar geduldet, dass das Goldkind die Pechkinder quält.
Allerdings kann sich das Goldkind nie ganz sicher fühlen, denn oft musste es die Erfahrung machen, dass sich die Rollen schnell ändern können. Ohne jeden erkennbaren Anlass wird dann das Gold- zum Pechkind und umgekehrt. Also muss auch das Goldkind immer alle seine Antennen auf das narzisstische Elter ausrichten. Auch das Goldkind wird also in ständiger Abhängigkeit gehalten. Behält es seine Rolle für lange Zeit, wird es allerdings oft selbst zum grandiosen Narzissten.
Der Unterschied zwischen narzisstischen Vätern und Müttern
Der Narzissmus von Vätern ist meist offensichtlich, da er oft grandios ist. Narzisstische Mütter hingegen sind nicht so einfach zu erkennen, sie üben oft vulnerablen Narzissmus aus. Dadurch erzeugen sie bei ihren Kindern ein schlechtes Gewissen, wenn das Kind einen eigenen Gedanken entwickelt („Wenn Du so böse zu mir bist, muss Mama weinen!“). Sie können allerdings auch blitzschnell in grandiosen Narzissmus umschalten, wenn der vulnerable nicht hinreichend wirkt.
Bei narzisstischen Vätern wie Müttern wird eine massive Abhängigkeit erzeugt, das Kind fühlt sich nicht lebensfähig. Aufgrund dieser Abhängigkeit und der Unfähigkeit des Narzissten, sich in das Kind hineinzudenken, kommt es auch gerade in solchen Beziehungen zu emotionalem oder sexuellem Missbrauch. Das so agierende Elter fühlt sich dabei nicht schuldig, es wird aber mit äußerster Strenge darauf achten, dass nichts an die Öffentlichkeit gelang. Narzissten sind sehr geübt darin, zu lügen und zu täuschen und die Schuld dem Opfer in die Schuhe zu schieben.
(Fortsetzung Teil 2)