Autokraten sind „in“
Stellvertreter in einer systemische Aufstellung
Letzte Woche habe ich als Stellvertreter an einer Aufstellung teilgenommen. Es ging dabei um eine Familie, die vor Generationen eine Schuld auf sich geladen hatte, die nie bearbeitet wurde. Da damit ein wichtiger systemischer Grundsatz verletzt wurde („Was ist, darf sein“), leiden die Nachfahren bis heute an dieser Schuld
Es ist erstaunlich, dass ein ganzes Familiensystem geschädigt werden kann, indem über eine negative Sache, eine Schuld oder eine Beschämung, nicht gesprochen wird und sie damit nicht aufgearbeitet werden kann. Noch erstaunlicher, aber durchaus zu beobachten ist das auch bei sehr viel größeren Systemen, bei Firmen und sogar bei ganzen Völkern. Deshalb sind rechte Autokraten „in“, die versprechen, ihrem Volk seine Würde zurückzugeben, ohne dass dieses etwas selbst dazu tun muss. Diese falschen Vater- und Mutterfiguren haben es auf diesem Weg leicht, ein Volk zu beherrschen. Zumindest so lange, bis es merkt, dass es sich mit diesen Rattenfängern auf Dauer auch nicht wohl fühlt. Ich möchte das an einigen Beispielen aufzeigen.
Neue Bundesländer
Die DDR ist zusammengebrochen und das gesamte Wertesystem verschwand, ohne dass Zeit war, etwas Neues aufzubauen. Die DDR, im Warschauer Pakt durchaus eine Wirtschaftsgröße, wurde zum Almosenempfänger. Die DDR hat nie die Schuld als Teil Deutschlands an den Verbrechen des 3. Reichs anerkannt und die Geschehnisse nicht bearbeitet. Ihre Leistung, die friedliche Revolution, wurde nie richtig anerkannt, auch Besserwessis haben jede systemische Weiterentwicklung verhindert. Ein rechter Staatschef hätte dort deshalb großen Erfolg.
Etwas Ähnliches ist auch in NRW passiert, obwohl seit Jahrhunderten Einwanderungsland, tritt plötzlich Fremdenhass auf, und das bei Leuten, die polnische Namen tragen, also selbst von „Wirtschaftsflüchtlingen“ abstammen. Dennoch hat diese Bewegung in den neuen Bundesländern eine andere Qualität, denn sie hat es geschafft, rechtes Gedankenschlecht (Gedankengut kann man es kaum nennen) salonfähig zu machen.
Türkei
Solange die Türkei die Schuld an den Massenmorden an Armeniern nicht anerkennt, kann dieses Volk aus systemischer Sicht nicht gesunden. Atatürk hat es in die Moderne geführt. Da war so viel zu tun, dass man sich um Altes nicht kümmern konnte (siehe auch die Bundesrepublik im Wirtschaftswunder). Jetzt kommen die alten Taten aber wieder hoch. Erdowan weiß ganz genau, dass sein Versprechen, der Türkei die verlorene Ehre zurückzugeben, ihn nur solange an der Macht hält, wie die alte Schuld nicht bearbeitet wird. Deshalb gehört er zu den vehementesten Leugnern des Pogroms. Denn was nicht war, kann weder vergeben noch vergessen werden. Es bleibt als störender Stachel.
Frankreich
Le Pen leugnet die Schuld eines Teiles der Franzosen an der Kollaboration mit den deutschen Nazis. Ein Teil der Franzosen sind ihr durchaus dankbar. Sie fühlen sich entlastet, ohne es wirklich zu sein. Denn das ist eine Schande, die sie direkt nach dem Krieg mit untauglichen Mitteln versucht haben aufzuarbeiten: dadurch, dass sie Französinnen, die sich in Deutsche verliebt hatten, nackt und geschoren durch die Straßen getrieben haben, haben sie Sündenböcke geschaffen, die Frankreich von Schuld reinwaschen sollten.
Beides, die Kollaboration und die Demütigung der „Deutschenliebchen“, war Unrecht, das nie verarbeitet wurde und dem eigenen Ansehen und dem Selbstbild der Franzosen geschadet hat. Auch der Algerienkrieg mit seinen Verbrechen, in dem Frankreich letztlich von Muslimen geschlagen wurde, spielt bei dem Hass von Le Pen und ihrer Anhänger auf die französischen Muslime sicher eine Rolle. Denn auch er wurde totgeschwiegen.
Russland
Russland wurde gedemütigt, als es von der bedeutenden Weltwacht Sowjetunion zum zweitklassigen Russland abstieg. Die neue Rolle wurde nie anerkannt. Es wurden Rückgriffe auf die alte „Größe“ Russlands unter den Zaren gemacht, um dieses Trauma zu überspielen. Tatsächlich ist der Abstieg eine Spätfolge des Stalinismus, der Millionen von Russen getötet hat und der jetzt unter Putin wieder seine hässliche Fratze zeigt. Hätte Russland sein Trauma anerkannt, hätte es Putin nicht folgen müssen, um den Schmerz zu verdrängen.
USA
Die USA haben nie verwunden und nie verarbeitet, dass sie den Vietnamkrieg verloren haben. Ihre Soldaten, die den Krieg verloren hatten, wurden bei ihrer Heimkehr nicht angemessen begrüßt, ihre Verletzungen wurden totgeschwiegen. Die USA konnte noch nie mit Verlierern umgehen, und so blieb vielen Veteranen, die als Teenager in den Krieg geschickt wurden, nur der Selbstmord.
Nun aber kommt Trump als scheinbar strahlender Gewinner aus der Generation Verlierer. Und er verspricht der USA die alte Größe zurückzugeben. Die schmerzhafte Bearbeitung des Versagens muss also wieder nicht geleistet werden. Und so gewinnt er die Wahl.
Fazit
Die Liste könnte man noch weiter führen, als Beispiele seien nur Polen und Ungarn genannt, und auch die alte BRD hat vieles versäumt. Es gibt gegen rechte Rattenfänger nur ein Mittel: sich nicht zur Ratte zu machen, sondern sich als Mensch zu benehmen, der Verantwortung für sein Tun übernimmt, der die Schuld der Väter anerkennt und bearbeitet. Denn was ist und war, darf sein, und was sein darf, darf auch gehen. Wer seine Geschichte nicht wahrnehmen will und sie verdrängt, ist dazu verdammt, sie so lange zu wiederholen, bis er aus ihr gelernt hat. Deutschland hat mit den beiden Weltkriegen die Gültigkeit dieser systemischen Grundsätze nachgewiesen.