Männer fragen nicht nach dem Weg
Angeblich ist eine typische Macke der Männer, nicht nach dem Weg zu fragen, wenn sie sich verlaufen haben. Allerdings habe ich letzthin eine Untersuchung gesehen, die zum Ergebnis hatte, dass der Unterschied zwischen Männern und Frauen in diesem Punkt nur marginal sei. Wir dürfen an diesem Satz also weiterhin zweifeln.
Woran allerdings niemand zweifelt: Männer fragen viel seltener um Hilfe, wenn sie psychologische Probleme haben, wenn sich also ihre Seele verlaufen hat. Warum ist das so?
Männer sind Problemlöser
Männer haben – jedenfalls in ihren eigenen Augen – Problemlöser zu sein. Die Ursache eines Problems darf nie bei ihnen liegen. Das Bild des „lonesome cowboy“, der alle Probleme alleine und aus eigener Kraft löst, und der deren Ursache mit dem Colt bereinigt, verhindert den Gang zum psychologischen Berater, Coach oder Therapeuten. Zudem sind die allermeisten Mitglieder dieser Berufsgruppe weiblich. Kein Mann will, nachdem er sich mühsam vom Rockzipfel seiner Mutter gelöst hat, mit einem Problem wieder ausgerechnet zu einer Frau gelaufen kommen. Seine ganze Erfahrung spricht dagegen – mann hilft einer Frau, lässt sich aber nicht von ihr helfen. Werner Dopfer beschreibt das in seinem Buch „Mama-Trauma“ sehr deutlich.
Wenn ein Mann um Hilfe bittet, hat er das Gefühl, an den Helfer die Führung abzugeben, sich ihm also unterzuordnen. Deshalb werden solch schwierige Gespräche unter Männern unter sehr engen Freunden oder im halb betrunkenen Zustand geführt. Bei engen Freunden kann ich nämlich sicher sein, dass sie die temporäre „Schwäche“ nicht ausnutzen. Und nach einem Besäufnis kann ich am nächsten Tag sagen: „Mensch, war ich gestern blau!“, und alle Zeichen angeblicher Schwäche sind damit vom Tisch gewischt. In keinem Fall stellt sich also nach so einem heiklen Gespräch die Hierarchiefrage.
Frauen erlauben sich, um Hilfe zu bitten
Frauen hingegen sind es gewohnt, um Hilfe zu bitten. Das ist nicht ihr Verdienst, sondern eine Frage ihrer Sozialisation. Deshalb können sie auch unbefangener psychologische Unterstützung suchen. Andererseits festigt dieses Verhalten das Bild der sensiblen, psychisch unstabilen und wenig belastbaren Frau. Dieses Bild ist falsch, Männer und Frauen stehen sich in diesem Punkt in nichts nach. Allerdings äußern sich Krisen bei Männern anders. Die „typisch männliche“ Depression zum Beispiel zeigt sich oft in Gereiztheit, antisozialem Verhalten und Aggressivität nach außen und nach innen. Männer neigen dann zu riskantem Verhalten, zu Süchten und Selbstgefährdung. Und bei einem eigenen stereotypen maskulinen Männerbild steigt das Depressionsrisiko. Männer bagatellisieren dann ihre Leiden, deshalb wird in der traditionellen Psychologie ein solches Verhalten erst seit kurzem als Depression erkannt. Auch der Betroffene selbst kommt nicht auf die Idee, depressiv zu sein, denn er will sich nicht als hilflos erleben. Er erlebt sich nur als ungeduldig, und so macht er weiter – bis zum Zusammenbruch. Darüber hinaus sind Selbstmordversuche bei Männern meist erfolgreich, alles andere wäre ja ein weiteres Versagen.
Männer beim Coach
Und so kommt ein Mann zum Coach – also zu mir – mit der Überzeugung: „Eigentlich brauche ich keine Hilfe!“ Und: „Wenn schon, dann soll er schnell reparieren, was kaputt ist.“ Er tritt auf wie bei einem Geschäftstermin, hinter dieser Fassade steht aber ein verinnerlichtes unzulängliches Vaterbild. Er verlangt dann von mir eine schnelle Lösung, ein Austauschteil oder ein Überbrückungskabel zur Reparatur. Das aber kann ich leider nicht bieten. Denn, um es deutlich zu sagen, meine Herren:
- Nein – Sie sind nicht verrückt. Psychische Probleme sind normal.
- Nein – Unterstützung zu suchen ist keine Schande. Es ist eine Stärke.
- Und noch einmal nein – Ich repariere nichts. Sie bleiben derjenige, der handelt.
Von mir dürfen Sie keinen guten Rat erwarten und kein Rezept. Ich begleite Sie gerne auf Ihrem Weg aus Ihrer Krise, aber ich bilde mir nicht ein, dass ich den Weg kenne, den Sie dazu gehen müssen, denn das ist Ihre Krise und Ihr Weg. Ich bin auch nicht besser oder schlauer als Sie – ich habe nur eine andere Ausbildung. Die eigentliche Arbeit, die Lösung des Problems, die kommt von Ihnen, nicht von mir. Ich zeige Ihnen vielleicht Werkzeuge, ich zeige Ihnen wie man mit diesen arbeitet. Damit arbeiten – oder auch mit anderen, die Ihnen einfallen – das müssen Sie selbst.
Glauben Sie mir, ich habe Hochachtung vor jedem, der eine eigene Krise erkennt und an ihr arbeitet. Denn ich weiß, zum Schluss, wenn er sie überwunden hat, kann er mit Stolz betrachten, was er – er ganz allein, nur mit ein paar Stunden Begleitung – geschafft hat. Und noch etwas möchte ich Ihnen sagen: Die allermeisten, die Begleitung suchen, kommen aus ihrer Krise heraus. Es mag eine Zeit dauern, aber nicht so lange, wie sie gebraucht haben, um in die Krise hineinzugeraten. Und auch wenn Sie (noch) keine Sprache für Ihre Gefühle haben, ich habe als Mann die Chance, Sie trotzdem zu verstehen.
Fazit
Wenn Sie Begleitung suchen, geben Sie damit zu, dass Sie ein Problem lösen zu wollen. Probleme zu lösen, das sind Sie ja gewohnt, der Unterschied ist nur, dass es diesmal ein eigenes ist. Ist das ehrenrührig? – Keinesfalls! Ist das klug? – Eindeutig ja! Ist das männlich? – Ganz sicher!
Also, psychologische Begleitung zu suchen ist weder unmännlich noch ein Zeichen von Hilflosigkeit. Sie zeigen damit, dass Sie Ihr Leben in die eigenen Hände nehmen und sich nicht weiter von den Umständen treiben lassen. Das ist Stärke!
Ein Krieger (das kann im Übrigen auch eine Frau sein) schaut seine Wunden an, zieht sich zurück und heilt sie, denn er weiß, er wird noch gebraucht. Er hat noch Aufgaben zu erfüllen, seine Gesundung ist deshalb wichtig. Ein Barbar hingegen lässt seine Wunden unbeachtet und unbearbeitet, er lässt zu, dass sie schwären und eitern. Die Schmerzen lassen ihn rasen, er schädigt seine Umwelt und verletzt die, die ihm helfen wollen. Schließlich stirbt er an seinem eigenen Gift, einsam und von niemandem beweint.