Was einen Schamanen ausmacht
Carlos Castaneda beschreibt in „Die Lehren des Don Juan“ die Eigenschaften eines „Wissenden“, wie ihn sein Lehrer Don Juan definiert. Der „Wissende“ ähnelt dabei ziemlich einem Schamanen. In Anlehnung an diese Definition möchte ich Eigenschaften eines Schamanen beschreiben, wie ich ihn verstehe. Dabei sollte man immer bedenken, dass eine Schamane ein Mensch ist, er hat also keine übermenschlichen Fähigkeiten. Er hat Fehler, und wird das Ideal nie erreichen. Ist er ehrlich mit sich selbst, wird er also nie sagen, dass er ein Schamane ist. Er wird sich immer als auf dem Weg zum Schamanen beschreiben. Der Einfachheit halber nenne ich ihn aber in diesem Artikel Schamanen.
- Ein Schamane ist ein fortwährend Lernender. Er ist ständig auf der Suche nach Wissen, um seine Aufgaben immer besser erfüllen zu können. Dabei ist er darauf angewiesen, dass ihm eine höhere Macht – wie auch immer man sie definieren mag – die Möglichkeit gibt, die Dinge zu lernen, die für sein Fortschreiten notwendig sind. Er muss bereit und in der Lage sein zu Lernen, sonst wird ihm die höhere Macht das Wissen nicht anbieten. Der Wille allein genügt also nicht, er muss dazu berufen sein. Das Lernen endet nie, ein Schamane wird immer Neues lernen.
- Auch deshalb braucht der Schamane einen festen Vorsatz. Seine Haltung darf nicht von Beliebigkeit geprägt sein. Der feste Vorsatz lässt ihn seinem Weg folgen, auch wenn er ihm Mühe und Ärger beschert.
- Der Schamane braucht einen klaren Verstand. Gerade weil er nicht alltägliche Handlungen durchfährt, muss der Verstand ihn in der alltäglichen Wirklichkeit verankern. Er ist der feste Punkt, von dem aus er die Welt wie Archimedes aus den Angeln heben kann, er gibt ihm die Freiheit zum Handeln.
- Schamane zu sein ist eine anstrengende Arbeit. Er muss in der Lage und willens sein, sich dieser Anstrengung zu unterziehen. Dies ist eine große Herausforderung, denn die Aufgaben aus der Anderswelt in der alltäglichen Welt umzusetzen, ist mit Mühen und Unannehmlichkeiten verbunden. Vor allem die Arbeit an den eigenen Unzulänglichkeiten ist hart und langwierig.
- Der Schamane muss ein entschlossener Krieger sein. Dazu gehört, die Furcht vor den Aufgaben zuzulassen, sie aber mutig zu überwinden. Es gehört auch die Ehrfurcht vor den höheren Mächten dazu, aber auch Selbstvertrauen und wache Aufmerksamkeit. Aus seiner augenblicklichen Kenntnis der Welt trifft der Krieger Entscheidungen und folgt ihnen entschlossen. Blickt er auf seinen Weg zurück, tut er das ohne Reue und Bedauern, denn er weiß, dass er sich so gut entschieden hat, wie es sein damaliges Wissen zuließ.
- Schamane zu werden ist ein unaufhörlicher Prozess. Er weiß, dass er sich ständig verbessern kann und muss. Er folgt dem Weg seines Herzens, erhascht manchmal einen Blick auf sein Ziel, weiß aber, das er es nie erreichen kann.
- Der Schamane hat andersweltliche Helfer. Die sind bereit, ihn auf seinem Weg zu unterstützen und zu helfen. Sie haben ihn ausgesucht, weil sie durch ihn bestimmte Dinge bewirken können. Helfer unterstützen zum einen bei der Erfüllung konkreter Aufgaben, zum anderen unterstützen sie als Lehrer und Krafttiere das Wachstum seiner Persönlichkeit, damit er die ihm aufgetragene Arbeit bewältigen kann. Sie begleiten ihn auf seinem Weg und haben Geduld mit seinen Fehlern und Unzulänglichkeiten. Sie wissen aber auch, wann sie ihm einen kräftigen und manchmal unangenehmen Stoß geben müssen, der ihm vorwärts hilft. Um das höhere Ziel zu erreichen, sind sie, wenn es sein muss, skrupellos und Rücksichtslos.
Vergleichen Sie meine Aussagen mit denen Castanedas, werden Sie feststellen, dass ich alle diese Punkten etwas anders sehe als er. Vielleicht kommt das daher, dass ich aus einer anderen Kultur komme, vielleicht aber auch daher, dass es doch einen Unterschied gibt zwischen einem Wissenden und einem Schamanen. Aber Don Juan hat mir auf jeden Fall wertvolle Impulse gegeben.