Männer – emotional anders?
Im ersten Teil der Reihe über Männer und Emotionen haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, ob Männer überhaupt Gefühle ausdrücken wollen. Heute möchte ich etwas über die unterschiedliche Sozialisation der Geschlechter sagen und zu der daraus resultierenden unterschiedlichen Art der Emotionalität.
In der gesamten Beitragsreihe gilt: wenn ich auch etwas über das typische Verhalten von Männer und Frauen schreibe, so weiß ich doch, dass die Mitglieder eines Geschlechts unterschiedlich sind und dass es Überschneidungen zwischen den Geschlechtern gibt. Ich mache also Aussagen, die für eine konkrete Frau oder einen konkreten Mann nicht unbedingt zutreffen, ich rede über den Durchschnitt, über eine Tendenz.
Frauen lernen schon als Mädchen, sich an eine kleine Gruppe von Menschen eng zu binden, an ihre Familie und an eine „beste Freundin“. Männer hingegen, und die Tendenz ist auch vorhanden, wenn sie noch Jungen sind, binden sich an größere Personengruppen, eine größere Clique, einen Verein, an eine Firma. Und sie haben viele Freunde, für jeden Zweck einen. Das sieht man z.B. bei der Cliquenbildung in der Schule, Mädchen haben viele, kleine Cliquen, Jungs wenige große.
Was macht das mit den Emotionen? Wenn man Emotionen zeigt, macht man sich verletzlich. Das ist in einem engen, vertrauten Kreis nicht weiter schlimm, dieser Kreis ist aufeinander angewiesen und nimmt in der Regel Rücksicht aufeinander. In einem engen Kreis arbeitet frau an funktionierenden Beziehungen. In einem großen Kreis hingegen, vor allem wenn die Mitglieder eine Rangordnung aufstellen wollen, hat man immer Konkurrenten, die auf Schwächen anderer regelrecht lauern, um sie zum eigenen Vorteil auszunutzen. Schon Jungen haben es also gelernt, dass es kontraproduktiv ist, Emotionen zu zeigen und sich somit angreifbar zu machen.
Eigentlich ist das ja nicht weiter schlimm, ein adäquates Verhalten wäre, in einer großen Gruppe die Emotionen nicht zu zeigen, wohl aber in einer kleinen, wie z.B. in einer Familie. Das klappt aber leider in der Regel nicht, Emotionen werden nie gezeigt. Warum?
Man kennt dieses Phänomen von Leuten, die sich die Gesichtsmuskulatur mit Botox haben lähmen lassen, um Falten zu vermeiden. Sie können mit ihrer teilweise gelähmten Mimik bestimmte Gefühle nicht mehr ausdrücken, das ist klar. Und jetzt kommt das Spannende: sie empfinden diese Gefühle auch nicht mehr! Es hat sich also gezeigt, dass man Gefühle, die man nicht ausdrücken kann – sei es mangels Übung oder wegen Botox – überhaupt nicht empfindet, man hat keinen Zugang mehr zu ihnen!
Auf die Frage: „Wie fühlst Du Dich?“, antworten Männer also nicht deshalb einsilbig, weil sie ihr Inneres nicht zeigen wollen, sondern weil sie den Zugang zu ihm verloren haben. Dazu kommt, dass Männer in den entscheidenden ersten Phasen des Lebens nur von Frauen erzogen werden, von Müttern, von Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen. Nicht dass diese Frauen keine gute Arbeit leisten würden, aber einem Jungen zeigen, was ein Mann ist, das können sie einfach deshalb nicht, weil sie Frauen sind. Männer spielen für einen Jungen in industrialisierten Gesellschaften keine Rolle, sie sind nicht da, „auf Arbeit“. Die Jungen sehen Männer nicht arbeiten, sie sehen nicht, wie sie sich im Alltag verhalten, sie wissen auch nicht, was Männer den ganzen Tag tun. So erfahren sie auch nicht, wie Männer Gefühle ausdrücken können. Sie möchten aber Männer werden, etwas anderes als Frauen, und schließen daraus, dass sie sich genau entgegengesetzt zu Frauen verhalten müssen, um maskulin zu werden. Sie werden zu John-Wayne-Typen: hart, hart arbeitend, pflichtbewusst, verschlossen. Und wenn der Gefühlsstau ganz schlimm wird, geht er mit den Kumpels saufen bis der Arzt kommt, da brauch er sich am nächsten Tag auch nicht daran zu erinnern, wie er in sein Glas geweint hat.
Früher war es üblich, dass erwachsene Männer als Mentoren für halbwüchsige Jungs aufgetreten sind. Zwischen den Mentoren und den Jungs entstand eine echte Zuneigung (die nichts mit schwul oder pädophil zu tun hatte), und die Heranwachsenden haben gelernt, wie Mann Gefühle zeigt. Das lief so nebenher, der Junge hat den Mentor bei seiner Arbeit begleitet. Heute sind die Mentoren nicht mehr da, auch sie sind weggesperrt, „auf Arbeit“. Wo sollen die jungen Männer also Emotionen lernen? Sie sind der Überzeugung, dass richtige Männer keine Gefühle zeigen, sie glauben sogar, dass Gefühle einen Mann weibisch oder homosexuell machen. Das will keiner sein, nicht umsonst ist ein häufiges Schimpfwort „Schwuchtel“ und die höchste Anerkennung „coole Sau“.
Männer lernen heute nicht mehr, dass jemand, der keine Gefühle zeigen kann, nicht cool, sondern im wahrsten Sinne des Wortes behindert ist. Selbst Frauen, die die Jungs ja erziehen und sozialisieren, sind sich über Leitbilder, denen die Jungs folgen könnten, nicht sicher, denn auch sie haben ja kein gültiges männliches Vorbild gehabt. So klappt heute die Bemutterung von Kindern recht gut, aber nicht die Bevaterung.
In 14 Tagen kommt der dritte Teil!