Erklärungen zum lösungsfokussierten Gespräch
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Zweiter Termin: Das lösungsfokussierte Gespräch
Die lösungsfokussierte Kurztherapie wurde von Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und ihren Kollegen am Brief Family Therapy Center in Milwaukee entwickelt und 1982 erstmalig vorgestellt. Die lösungsfokussierte Gesprächsführung wurde davon abgeleitet. Sie erfordert nicht wie viele andere Verfahren eine Problemanalyse zur Erreichung der gewünschten Lösung. (de Shazer 2008, Sparrer 2010, Drab 2014)
Obwohl diese Gesprächsführung auf Fragen basiert, steht sie im scharfen Gegensatz zum sokratischen Dialog. Dieser ist erzieherisch, der Gesprächspartner wird durch Fragen zu einem dem Begleiter vorher bekannten Ziel hingeführt. Im lösungsfokussierten Gespräch geht der Begleiter davon aus, dass er die Lösung nicht kennen kann. Der Klient ist der Experte für Problem und Lösung, der Begleiter der Experte für den Lösungsprozess.
Das Ziel der Lösungsfokussierten Gesprächsführung ist es, den Klienten aus der Problemtrance in die Lösungstrance zu bringen, weil die Lösung nicht unbedingt etwas mit dem Problem zu tun hat. Während der Klient anfangs immer wieder in die Problemsprache verfällt, ist es Aufgabe des Begleiters, Lösungselemente aufzuspüren und unter deren Verwendung den Klienten lösungsfokussiert zu befragen. So tritt bei ihm anstelle des Leidensdrucks das Bestreben, zur Lösung zu gelangen. Der Klienten soll ein klares Bild seiner Lösung entwickeln. Es ist also wichtig, ihn das Ziel zu Beginn genau, realistisch und erreichbar (SMART) definieren zu lassen.
„Die Lösung zeigt sich durch das Verschwinden des Problems.“ (Wittgenstein) Die Lösung ist also nicht die Umkehrung des Problems, wenn das Problem für den Klienten irrelevant wird, ist die Lösung erreicht, auch wenn das Problem fortbesteht. Denn durch die Lösung beginnt etwas Neues.
Die Lösung vollzieht sich außerdem in der Person des Klienten. Die Welt bleibt erst einmal so, wie sie vor der Lösung war. Wenn der Klient die Lösung von einer Änderung der Welt abhängig macht, hat der Begleiter so lange weiter zu fragen, bis der Klient eine Lösung gefunden hat, die unabhängig von der Veränderung der äußeren Umstände oder der Menschen ist.
Insgesamt gesehen ist das Finden der Lösung zu plötzlich, als dass es als ein Lernprozess verstanden werden könnte. Es kann vielmehr als ein Vorgang des Wiedererinnerns verstanden werden. Von daher rührt auch die Überzeugung lösungsfokussierter Begleiter, dass der Klient nicht belehrt werden muss, sondern dass er die Lösung von Anfang an in sich trägt.
Grundsätze beim lösungsfokussierten Gespräch
- Der Klient ist der Experte für die Lösung seiner Probleme.
- Der Klient ist nicht unfähig, er hat nur den Weg zur Lösung verloren.
- Ich bin nur der Geburtshelfer der Lösung, ich kenne sie nicht.
- Ich mache keine Vorschläge.
- Ich muss weder das Problem noch die Lösung kennen oder verstehen.
- Ich bin nicht neugierig! Ich frage, um Prozesse anzustoßen!
- Ich spreche in der Sprache des Klienten, nutze seine Diktion.
- Ich weiß erst, was ich gefragt habe, wenn ich die Antwort höre.
- Problemorientierung in Lösungsorientierung wandeln! Lösungstrance erreichen!
- Wertschätzende Rückmeldung! Empathie und Betroffenheit zeigen!
- Nicht schauspielern, aufrichtig und authentisch sein!
Einige Tips (de Shazer / Dolan 2008)
- Was nicht kaputt ist, muss man nicht reparieren.
- Was funktioniert, sollte man häufiger tun.
- Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren.
- Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen. Suche also nach früheren Lösungen und Ausnahmen.
- Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen.
- Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen.
Typische Fragen im Lösungsfokussierten Gespräch
Nach de Shazer weiß der Klient wie auch der Begleiter meist nicht, was gut ist, aber er weiß, was besser ist. Von daher wird die Skalenfrage gern genutzt: „Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 1 bedeutet …, und 10 …, wo stehen Sie?“. Auf die Antwort: „Weiß ich nicht!“ fragt der Begleiter: „Was würden Sie vermuten?“ oder „Angenommen, ich frage Ihren Partner / Freund / Kollegen, was denken Sie, was der antworten würde?“ (zirkuläre Frage)
Eine Unterart der Skalenfrage ist die Zielfrage: „Welche Skalenzahl würden Sie denn erreichen wollen?“ Der Begleiter muss von einem Status des Nichtwissens ausgehen, es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Klient das Optimum, also zum Beispiel die 10, erreichen will.
Schließlich kann an die Skalenfrage noch die Frage nach einer Verbesserung angeschlossen werden. Wenn der Klient also gesagt hat, er stünde bei 3, kann man ihn fragen: „Was müssten Sie tun, um auf 4 zu kommen?“ Auch hier kann zirkulär gefragt werden.
Kein Problem besteht die ganze Zeit. Von daher ist die Ausnahmenfrage sinnvoll: „Gab es schon einmal Situationen, bei denen Sie der Lösung näher waren als heute?“ – „Was war damals anders?“ oder: „Was hatten Sie damals anders gemacht?“
Die erste Antwort auf eine Frage ist oft oberflächlich. Erst wenn ich mehrfach nachfrage, ist der Klient veranlasst, sich tiefer mit der Frage zu befassen und die tieferen Ebenen der Antwort zu finden. Die Antworten werden also jedes Mal wertvoller. Deshalb ist die am häufigsten genutzte Frage die „Was noch“-Frage. „Wenn Du denkst, Du hättest schon zu oft nachgefragt, dann frage noch zwei Mal ‚Was noch?‘!“ (de Shazer)
Als Begleiter darf ich dem Klienten vor allem wertschätzende Fragen stellen, die Achtung vor den von ihm schon gefundenen Lösungen ausdrücken. Wenn er also über seine Situation klagt, kann ich zum Beispiel fragen: „Wie haben Sie es geschafft, trotzdem weiterzumachen?“ Es ist wichtig, hier ehrlich zu sein, man darf nicht versuchen zu schauspielern! Wertschätzung zeigt sich auch darin, dass der Begleiter dem Klienten aktiv und aufmerksam zuhört. Rückmeldungen durch „soziales Grunzen“ und Rückfragen sind hier hilfreich.
Wichtig ist auch die Auflösung der Verneinung. Wenn also ein Klient zum Beispiel antwortet: „Dann bin ich nicht mehr traurig.“, frage ich: „Und was ist stattdessen?“ oder: „Und was tun Sie stattdessen?“
Eine wichtige „Frage“ ist das Schweigen. Schweigt der Begleiter einige Zeit, wird der Klient nach einiger Zeit Antworten geben. Da ihm keine Frage gestellt wurde, gibt er Antworten auf Fragen, die er sich selbst gestellt hat. Diese Antworten sind deshalb besonders wertvoll.
Manche Klienten kommen vom 100sten ins 10000ste, ohne auf den Punkt zu kommen. Hier helfen Plausibilitätsfragen in der Form: „Hilft uns das hier weiter?“, oder, wenn wenig realistische Antworten gegeben werden: „Ist das realistisch?“ Hier offen nachzufragen ist auf jeden Fall besser, als den Klienten durch komplizierte Fragetechnik wieder auf den „richtigen Pfad“ zurückführen zu wollen. Vielleicht ist ja gerade das, was dem Begleiter als unwichtiger Umweg erscheint, für den Klienten der springende Punkt. Die Fragen dürfen also nicht rhetorisch gestellt werden.
Die Wunderfrage
Man kann die Wunderfrage als das Herzstück des lösungsfokussierten Vorgehens ansehen, aber sie ist nur ein kleiner Teil des ganzen Prozesses. Das lösungsfokussierte Vorgehen kann nicht auf die Wunderfrage zu reduziert werden. Die Wunderfrage unvorbereitet zu stellen, führt regelmäßig nicht zu einer Lösung.
Die Wunderfrage ist nur scheinbar einfach, denn sie führt den Klienten in die Lösungstrance. Die Schule von Milwaukee hat für ihre Optimierung viel Zeit aufgewendet. Kein Teil der Wunderfrage ist verzichtbar.
- Einleitung der Wunderfrage: „Eine etwas schwierige Frage…“
- Einbettung in den Alltag: „Sie gehen nach Hause, und tun, was Sie immer tun und was Sie sich vorgenommen haben…“
- Hypothese: „Angenommen, in dieser Nacht geschieht ein Wunder.“ („Angenommen“ ist der Schlüssel für einen fantastischen Prozess). Ab hier wird weder Futur noch Konjunktiv verwendet, der Präsens macht die Vorstellung des eingetretenen Wunders einfacher.
Einwandbehandlung: „Ich glaube nicht an Wunder!“ Vorschlag: „Ich auch nicht. Aber können wir einfach mal so tun, als ob es Wunder gäbe?“ - „… alles, was Sie hierher geführt hat, ist gelöst.“ (nicht: „alles ist gelöst“, das ist zu umfangreich, aber auch nicht: „das Problem ist gelöst“, das schränkt zu sehr ein.)
- Das Aufwachen: „Niemand sagt Ihnen, dass ein Wunder geschehen ist.“
- Was hat sich geändert: „Woran merken Sie dennoch, dass das Wunder geschehen ist?“ … „Woran noch?“ – „Was machen Sie dann anders?“
- Kontext feststellen „Wer bemerkt das Wunder noch?“ – „Wie reagiert der-/diejenige darauf?“
- Darauf achten, wer oder was dem Wunder im Wege steht, und diesen Widerstand aufheben helfen: „Jetzt, wo das Wunder geschehen ist, wie reagieren Sie jetzt [auf den Widerstand]?“
Das Wunder ist ein plötzlicher Wandel, der nicht durch Mühe und Anstrengung erreicht wird, sondern mit Leichtigkeit. Dem Klienten muss nahegebracht werden, dass das Wunder schon da ist, dass es nicht erst erreicht weren muss. Im Wunder ist alles möglich, Glaubenssätze und Barrieren verschwinden plötzlich.
Die Pause
Vor Ende des Gespräches sollte der Begleiter eine kurze Pause einlegen, die er dazu nutzt, den Ablauf des Gespräches noch einmal zu überdenken und, wenn er einen Co-Moderator hat, sich mit ihm abzustimmen. Auch der Klient wird das Gespräch noch einmal überdenken, vielleicht fallen ihm sogar noch Dinge ein, die er vergessen hatte zu erwähnen.
Nach der Pause beginnt der Begleiter mit einigen wertschätzenden Bemerkungen dem Kunden gegenüber, indem er ihn zum Beispiel für seine Offenheit lobt. Danach kommt eine wichtige Frage: „Was habe ich [der Begleiter] vergessen zu erwähnen?“ Danach wird das Gespräch beendet.
Der nächste Beitrag, die Durchführung des lösungsfokussierten Gesprächs, folgt am 24.12.2015