Müssen spirituell denkende Menschen Vegetarier sein?
Bei unserem letzten Essen mit Freunden wurde ich gefragt, wie ich als „Schamane“ Fleisch essen könne. Spirituell denkende Menschen müssten doch eigentlich Vegetarier sein!
Zum einen halte ich die Meinung für falsch, dass der Mensch ein reiner Pflanzenfresser sei. Der „moderne“ Mensch (Homo sapiens) ist ein Allesfresser, seine inneren Organe sind denen eines Schweines sehr ähnlich, und das frisst wenn immer möglich Insekten und Aas. Einige unserer Vorfahren, z.B. die Australopithecus-Arten vor knapp 4 Mio. Jahren, mögen sich nur von Pflanzen ernährt haben. Vor allem für den Australopithecus robustus ist das durch Zahnfunde nachgewiesen. Aber ein größeres Gehirn, wie es seit dem Homo erectus vor knapp 2 Mio. Jahren zu finden ist, benötigt Nahrung mit hoher Energiedichte. Die Neandertaler haben sich sogar nachgewiesenermaßen zu mehr als 90% von Fleisch ernährt, ihr Gehirn war auch im Schnitt größer als unseres. Das sagt nicht unbedingt etwas über ihre Intelligenz aus, wohl aber über den Energieverbrauch. Viele Paläoanthropologen halten übrigens häufigen Fleischverzehr für ein Merkmal der Gattung Homo. Menschenaffen jagen und verzehren auch Tiere, aber viel seltener.
Die regelmäßige Ernährung mit Pflanzen, vor allem von Getreide und Wurzelgemüsen, ist erst vor ein paar tausend Jahren aufgekommen. Unser Körper ist an diese Ernährung nicht angepasst, dagegen steht eine Evolution von mehreren Millionen Jahren mit gemischter Kost. Menschen, die sich nur oder fast nur von Pflanzen ernähren, gibt es erst seit dem Hochmittelalter, als die Bauern leibeigen und es ihnen verboten wurde, zu jagen und ihr Vieh zu wertvoll war, um geschlachtet zu werden. Der Adel und die freie Bevölkerung ernährten sich übrigens weiterhin von Fleisch, die Mitglieder dieser Klassen waren im Schnitt auch größer, gesünder und lebten länger als die unfreien Bauern.
Trotzdem – das Töten von Tieren scheint vielen für einen feinfühlenden Menschen nicht angemessen. Unsere Vorfahren allerdings sahen das anders, allerdings auch anders als die meisten Menschen, die heute Fleisch essen. Für sie hatten sich die Tiere, die sie in der Lage waren zu erlegen, als Nahrung zur Verfügung gestellt. Sie waren sehr dankbar für dieses Opfer und behandelten die Jagdbeute mit Achtung. Deshalb wurde auch kein Stück des Tieres vergeudet, alles wurde irgendwie verwendet, ob Innereien, Blut, Knochen, Fell oder Hörner. Weiterhin wurde dem Deva dieser Tierart gedankt und er wurde gebeten, die Fruchtbarkeit der Tierart zu erhalten und so die Verluste auszugleichen. Man wendete sich bei solchen Bitten also nicht an das einzelne Tier, sondern an seine geistig-seelische Dimension, an das morphische Feld der Tierart. Dazu kam die Überzeugung, dass es zwischen Tieren und Pflanzen nur den Unterschied gibt, dass erstere lauter schreien.
Heute hingegen fehlt es oft an der Achtung vor den Tieren, die wir verzehren. Beim Schlachten der Tiere entstehen große Abfallberge, weil nur noch die Teile der Tiere verwendet werden, die sich profitabel nutzen lassen. Es gibt nur noch wenige Züchter und Metzger, die den Tieren Achtung entgegen bringen. Auch wenn Fleischprodukte vom Verbraucher gekauft werden, werden sie nicht mehr als Teil eines Tieres gesehen. Er weiß nicht mehr, aus welchem Teil welcher Tierart z.B. ein Schnitzel geschnitten wird. Deshalb ist auch der Widerstand vieler Menschen zu verstehen, überhaupt Fleisch essen.
Achtung gegenüber Tieren beweist man zum einen, indem man Fleisch nicht aus industrialisierter Zucht bezieht. Zum anderen sollte man nichts vergeuden. Und schließlich sollte man sich sowohl bei der Zubereitung als auch beim Verzehr Zeit lassen. Vor dem Kochen und dem Essen dem Tier noch einmal zu danken halte ich für eine angemessene Art des Umgangs. Fastfood verachtet die Tiere.
Jeder wird dazu seine eigene Meinung haben, meine ist: wer in der Lage ist, einem Schlachttier mit Achtung und Dankbarkeit zu begegnen, wer bereit ist, es zu zerlegen und zuzubereiten und wer es dann bewusst genießt, der darf auch Fleisch essen.