Was ist Familientherapie?
Zuerst einmal: in der Psychologie unterscheidet man zwischen der Herkunfts- und der eigenen Familie. Die Herkunftsfamilie besteht aus den Verwandten in aufsteigender Reihenfolge, also Eltern, Großeltern usw., aber auch Geschwister, Tanten, Onkel, oder wer sonst noch in der Kindheit eine Rolle gespielt hat. Es zählen also auch Stiefeltern oder Stiefgeschwister dazu. Die eigene Familie sind die Ehe- bzw. Lebenspartner, die eigenen Kinder und die Kinder der Partner.
Früher wurde Familientherapie als Therapie der gesamten Familie verstanden. So musste bei einer Therapie auch die gesamte Familie zum Therapeuten kommen. Heute hingegen wird die Familientherapie als Therapie eines Familienmitglieds unter Berücksichtigung der Herkunftsfamilie oder der eigenen Familie verstanden.
Die Familientherapie wird inzwischen eine spezielle Form der Systemischen Therapie verstanden, wobei das System die Familie ist. So wie bei der Systemischen Therapie nicht das gesamte System therapiert wird, sondern nur der Klient oder Patient lernt, mit dem System klar zu kommen, wird bei der Familientherapie dem Klient geholfen, mit der Familie störungsfrei zu interagieren.
Die Familientherapie ist in Deutschland wissenschaftlich anerkannt. Sie ist eine Kurzzeittherapie, die Wert darauf legt, lösungsfokussiert mit relativ geringem Aufwand des Therapeuten zu einer zügigen, aber nachhaltigen Verbesserung zu führen. Dabei wird vor allem darauf Wert gelegt, dem Klienten zu helfen, selbst notwendige Lösungen und Ressourcen zu finden. Die Anwesenheit anderer Familienmitglieder wird dabei von den meisten Therapeuten, vor allem in den ersten Schritten, als hinderlich angesehen.
Besonders wichtig ist dabei, alle Beteiligten mit Wertschätzung und Respekt zu betrachten. Jeder hat das Recht auf seine Sicht der Dinge, niemand kann verlangen, dass sich ein Beteiligter ändert. Auch inzwischen nicht mehr angemessenes Verhalten hatte bei seiner Entstehung systemerhaltende und somit hilfreiche Funktionen. Ein Beispiel: Ein überlastetes Familienmitglied reagiert immer wieder durch psychosomatische Erkrankungen, die es zwingen, sich zurückzuziehen. Der ursprüngliche Sinn dieser Reaktion war es, Überlastungen und somit dem totalen Zusammenbruch aus dem Weg zu gehen und somit in der Lage zu sein, die Familie zumindest temporär unterstützen zu können. Leider hat sich dieses Verhalten dann ohne Wissen des Betroffenen verselbstständigt und ist auch für ihn schädlich geworden.
Somit sollte man also bei Störungen im Zusammenleben das fremde wie auch das eigene Verhalten durch Refraiming anders bewerten und somit akzeptieren. Von einer solchen Akzeptanz ist natürlich gewalttätiges Verhalten ausgeschlossen. Beispielsweise kann ein erwachsener Sohn, dem von seinem Vater immer wieder Vorschriften gemacht werden, dieses Verhalten nicht wie bisher als rechthaberisch und übergriffig begreifen, sondern als Sorge des Vaters um seinen Sohn. So ist es dann nicht mehr notwendig, dass sich der Sohn wehrt, sondern er kann seinem Vater Dank entgegenbringen, sich nach seinen eigenen Vorstellungen verhalten und ihm gleichzeitig versichern, dass seine Unterstützung nun nicht mehr notwendig ist.
Die Familientherapie betrachtet auch das emotionale Familienerbe. Zum Beispiel haben gerade die Kinder und Enkel der Kriegsgeneration das Erbe der Belastung ihrer Eltern und Großeltern durch Krieg, Flucht und Vertreibung angetreten. Wird eine solche Belastung nicht aufgearbeitet, wird sie unbewusst an die nächste Generation weitergegeben und lebt somit über Generationen weiter. Zum Beispiel läuft es mir immer noch kalt den Rücken herunter, wenn ich eine Sirene höre. Das habe ich von meiner Mutter übernommen, die als Kind in Köln viele Dutzende schwerer Luftangriffe erlebt hat, die durch Sirenen angekündigt wurden. Ich bin sicher, sie hat mir nie bewusst Angst vor Sirenen gemacht, aber ein Kind spürt die Angst der Mutter und übernimmt sie.
Wichtig ist, dass ein Familienmitglied eigenständig handeln kann. Von der Herkunftsfamilie übernommene Einschärfungen oder Antreiber (siehe Transaktionsanalyse) schränken die eigene Handlungsfreiheit ein. Man wird so zu einer Marionette der Familie, man hängt von ihr ab und ist kein vollwertiges Familienmitglied. So kann man dann auch, wenn man eine eigene Familie gründet, nicht die eigene Persönlichkeit einbringen, sondern wirkt quasi nur als Verlängerung der Herkunftsfamilie. Man sollte sich deshalb immer wieder klar werden, wie die Herkunftsfamilie gewirkt hat, welches Erbe man übernommen hat, und ob man dieses Erbe weitertragen will. Das ist keine einfache Aufgabe, vor allem, wenn eine Abgrenzung notwendig ist, aber diese Arbeit ist notwendig, wenn man wirklich zu einer eigenständigen Persönlichkeit werden möchte.
Ich habe in diesem Beitrag überall von Therapie geschrieben. Es gelten aber alle Aussagen auch für das Coaching bzw. für die Begleitung. Liegt keine psychische Störung vor, ist eine Therapie nicht notwendig, Trotzdem können Schwierigkeiten mit der Begleitung durch einen Coach aus dem Weg geräumt werden.