Systemischer Coach oder Berater – wann brauche ich wen?
Ein Coach, der Systeme coacht, ist noch lange kein systemischer Coach. Denn nicht der Inhalt oder das Ziel, sondern Prozess der Begleitung muss systemisch sein, das macht den systemischen Coach aus.
Der Coach begleitet den Prozess, der den Klienten zu neuen Erkenntnissen über sich selbst und sein Verhältnis zur Umwelt führt. Diese Begleitung lässt sich am besten systemisch angehen. Dagegen ist der systemische Ansatz kontraproduktiv für den Berater oder Lehrer (Tutor, Instruktor, Consulter, …), also für den Wissensvermittler. Die Frage „Systemischer Coach oder Berater – wann brauche ich wen“ soll im nachfolgenden betrachtet werden.
Die unterschiedlichen Ansätze
Der Berater hat zu seinem Klient ein hierarchisches Verhältnis, wie das zwischen Lehrer und Schüler. Er weiß mehr als sein Klient. Ein Berater wird deshalb zum Berater, weil er überzeugt ist: „Ich weiß mehr als Du!“ Nur so hat er die Motivation jemandem etwas beibringen zu wollen, die Überzeugung ist für die Wissensvermittlung notwendig. Der Coach geht dagegen davon aus, dass er nichts von den Problemen versteht, die sein Klient hat, und noch weniger von den Lösungen. Für ihn ist der Klient der Experte für Problem und Lösung, er selbst ist „nur“ der Experte für den Prozess der Problemdefinition und der Lösungsfindung. Er weiß, wie er den Klienten dazu bringt, sich seines Wissens bewusst zu werden und es auszusprechen. Dabei versucht der Coach die Erkenntnisse des Klienten nicht zu verstehen, denn das würde eine eigene Interpretation in den Erkenntnisprozess bringen, die für dessen Fortschritt hinderlich wäre. Denn, wenn er glaubt, die Gedanken des Klienten verstanden zu haben, fragt er nicht weiter. Coach und Klient reden dann von unterschiedlichen Dingen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wesentliche Dinge werden vom Klienten nicht ausgesprochen.
Klient als „Black Box“
Der Klient ist für den Coach eine „Black Box“, die er nicht verstehen muss. Die Überzeugung, den Klienten zu verstehen, führt nämlich dazu, dass er glaubt, Auswirkungen von Interventionen vorhersagen zu können. Das ist im Coachingprozess falsch, denn es können in seinen Augen kleine Interventionen zu großen Veränderungen führen, während große Interventionen wirkungslos verpuffen können. Der Berater hingegen braucht für seine Wissensvermittlung eine gewisse Kenntnis der Reaktion des Klienten auf Inhalt und Form des vorgetragenen Stoffs, er benötigt pädagogische Kenntnisse. Er wird also davon überzeugt sein müssen, dass er den Klienten besser versteht als dieser sich selbst.
Der Coach weiß auch, dass er mit dem Klienten ein System bildet, dass sie sich also gegenseitig beeinflussen. Nach seiner Überzeugung tritt ein ähnliches Phänomen auf, wie es Heisenberg in der Physik gefunden hat: Der Beobachter beeinflusst als Teil des Gesamtsystems das beobachtete Objekt. Der Coach begrüßt diese Tatsache, denn so ist eine Änderung des eigenen Verhaltens eine wirksame Intervention.. Der Berater hingegen muss für die Wirksamkeit seiner Wissensvermittlung die Distanz zum Klienten wahren.
Schließlich hat der Coach Vertrauen zum Klienten. Er ist davon überzeugt, dass dieser bei entsprechender Begleitung selbst zur Lösung seines Problems findet. Der Berater hingegen hegt gegenüber den Fähigkeiten seines Klienten Zweifel, er ist davon überzeugt, dass seine Wissensvermittlung zu dessen Erkenntnisgewinn notwendig ist.
Insgesamt gesehen wird der systemische Coach also das, was die Expertise des Beraters ausmacht, als Hybris ablehnen und das Gegenteil davon als eigene Expertise pflegen. Zusammengefasst sieht das so aus:
Aussage des Beraters/ Lehrers |
Expertise Berater/Coach | Aussage des systemischen Coachs |
„Ich weiß es besser als Du.“ | Wissen/Nichtwissen | „Ich weiß nichts über Dein Problem und dessen Lösung.“ |
„Ich verstehe Dich besser als Du Dich selbst.“ | Verstehen/Nichtverstehen | „Du bist der Experte für Dein Problem.“ |
„Ich habe mit Dir und Deinem Problem nichts zu tun.“ | Distanz/Eingebundensein | „Ich spiele eine Rolle im Systemkontext.“ |
„Ohne meine Hilfe schaffst Du es nicht.“ | Zweifel/Vertrauen | „Ich vertraue Deinen Fähigkeiten.“ |
Was ist also besser, Beratung oder Coaching?
Beides ist gleich wichtig und im richtigen Kontext das jeweils einzig richtige Vorgehen. Dazu ein Beispiele:
Nehmen wir an, ein Kind hat Probleme in der Schule, zum Beispiel in Mathematik. Hat es wirklich fachliche Lücken, ist Beratung bzw. Schulung das richtige Vorgehen. Versteht es aber den Stoff nicht, obwohl er sonst intelligent ist, liegt es nahe, dass es ein anderes Hindernis gibt, dass ihm den Weg zum Verständnis verstellt. Das könnte zum Beispiel ein Glaubenssatz sein, wie: „Mathe ist nichts für Mädchen!“ Dann ist es wesentlich, diesen Glaubenssatz zu löschen. Da nützt keine Mathematik-Nachhilfe.
Welche Expertise bevorzuge ich?
Ich sehe mich bei der Begleitung eines Klienten als systemischer Coach, bin mir aber bewusst, dass ich kontextabhängig durchaus auch die Aufgabe habe, als Berater aufzutreten. Dabei bin ich mir aber immer bewusst, welchen „Hut“ ich im jeweiligen Fall aufhabe. Denn die jeweils notwendige Grundhaltung führt zu sehr unterschiedlichen Interventionen, die kontraproduktiv sein können, wenn sie im falschen Kontext angewendet werden. Ich erkenne während des Prozesses der Begleitung, wann Hilfe zur Selbsthilfe und wann Wissensvermittlung angebracht ist. Denn meist ist Komplementärberatung notwendig, für die mir beide Expertisen zur Verfügung stehen.