Das Hier und Jetzt ist eine Illusion
Manchmal fürchten wir unsere eigenen Gedanken. Gedanken an die Zukunft, die Angst machen, Gedanken wie: „Wie soll ich das bloß schaffen?“, oder: „Ich kann das nicht, jetzt wird mir bestimmt gekündigt!“ Auch Gedanken über Vergangenes, über schambehaftete Erlebnisse: „Wie konntest Du Dich nur so blöd benehmen?“
Dann wird uns geraten, mit unseren Gedanken im Hier und Jetzt zu bleiben. Aber was ist das Hier und Jetzt? Wenn man tiefer darüber nachdenkt, ist es eine Illusion. Trotzdem ist der Rat nicht schlecht, er hilft, die Füße wieder auf den Boden der Tatsachen zu bekommen. Er hilft, Depressionen vorzubeugen und Ängste abzubauen. Wie kann das sein?
Das Jetzt
Schauen wir uns zuerst einmal das Jetzt an. Das Jetzt ist eine zeitliche Verortung. Wie lange dauert es? Einen Tag? Eine Minute? Eine Sekunde? Oder noch kürzer?
Nehmen wir an, wir einigen uns auf eine Sekunde. Dann kommen wir aber schnell dahinter, dass das zu lang ist. Denn zwei Dinge, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, würden aufeinander prallen. Stellen Sie sich vor, jemand wirft einen Ball nach ihnen. Eine Sekunde ist genug Zeit, um den Ball auszuweichen. Wir können uns also ohne weiteres vorstellen, wie zwei Dinge – Ihr Körper und der Ball – innerhalb einer Sekunde den Platz wechseln. Also ist eine Sekunde zu lange, weil zwei Dinge nicht im gleichen Jetzt den gleichen Ort einnehmen dürfen.
Also muss das Jetzt kürzer sein. Aber wie kurz wir es auch machen, das grundsätzliche Problem ändert sich nicht. Die Dinge müssen sich nur schnell genug bewegen, damit sie im Verlauf einer noch so kurzen Zeit den Platz tauschen können, ohne zu kollidieren.
Das Jetzt ist nicht real
Das Jetzt darf also keine Dauer haben. Aber nun haben wir ein anderes Problem: Jedes Ding existiert im Jetzt, hat also keine Dauer. Etwas ohne Dauer gibt es aber nicht. Also existiert im Jetzt nichts, denn alle Dinge, die im Jetzt sind, haben keine Dauer.
Wir wissen allerdings aus der täglichen Erfahrung: Dinge existieren wirklich, und sie können sich den Ort, den sie einnehmen, wirklich streitig machen. Jeder, der sich schon einmal an einer Tischkante einen blauen Fleck geholt hat, weiß das. Irgendwo ist also in unserer Gedankenkette ein Fehler. Aber wo?
Ich weiß das auch nicht, aber ich denke, dass das Jetzt, also die Gegenwart, doch eine kleine Dauer haben muss. Durch Aneinanderreihung vieler „Jetzts“ hat ein Gegenstand dann Bestand. Hier widerspricht also die alltägliche Praxis der reinen Philosophie.
Wie empfinden wir das Jetzt?
Man sagt, Menschen empfinden das Jetzt als einen Zeitabschnitt von circa 3 Sekunden. Klar, wie wir gesehen haben, ist das eine Illusion, denn wir können auch innerhalb eines solchen Zeitabschnitts zwischen „vorher“ und „nachher“ unterscheiden. Aber für die alltägliche Praxis scheinen die drei Sekunden genau richtig zu sein. Wir können uns während dieser Zeitspanne ein Bild von unserer Umgebung machen. Das hilft uns beim Überleben, und nur dafür ist unser Denken ausgelegt.
Das Hier
Das Hier ist ähnlich illusionär: Bin ich noch im Hier, wenn ich mich einen Zentimeter weiter bewegt habe? Wie wir beim Jetzt ein Problem mit der Zeitspanne hatten, haben wir beim Hier eines mit der Entfernung. Wir sind uns also einig: das Hier und das Jetzt sind Illusionen. Trotzdem weiß jeder, was mit den beiden Begriffen gemeint ist, und wir kommen mit ihnen im Alltag prima klar. Wir können im Hier und Jetzt sein, ohne es genau definieren zu können.
Wie ich schon an anderer Stelle beschrieben habe, haben wir nämlich die Fähigkeit, mit Illusionen ziemlich gut klar zu kommen und sie als real zu empfinden. Unser tägliches Leben stützt sich auf Illusionen, und trotzdem können wir etwas erreichen. Manchmal darf man eben nicht zu scharf hinschauen, wenn man Ergebnisse erzielen will. Ein Physiker hat das einmal gut ausgedrückt, als er beschreiben wollte, wie man mit ungenauen Methoden zu genauen Ergebnissen kommen kann: „Man kann mit einem schmutzigen Lappen und schmutzigem Wasser einen Teller ganz schön sauber bekommen.“
Fazit
Ich neige dazu, und ich denke, da bin ich nicht alleine, manchmal zu genau hinzuschauen, und mich dann in Einzelheiten zu verlieren. Was mir dann hilft, ist, mich aus der Theorie heraus in die Praxis zu bewegen. So vermeide ich, mich im Kreis zu drehen.
Ich habe es als sehr hilfreich erfahren, das Hier und das Jetzt passend zum anliegenden Problem zu definieren. So kann das Jetzt je nach Sichtweise auch einmal ein Jahr umfassen, und das Hier auch einmal ein ganzes Land. Wichtig ist nur, dass man Angst und Depression vermeidet, indem man im
passenden Hier und Jetzt bleibt.