Papa ante Portas!
Da haben Sie jahrelang im Beruf geschuftet, um für sich und die Familie genug Geld zum Leben heimzubringen. Sie haben gekämpft, Intrigen erduldet (und selbst welche gesponnen), haben sich anschnauzen lassen und selbst Leute angeschnauzt, haben vor den Kunden gekatzbuckelt und sich vor wichtigen Terminen die Nächte um die Ohren geschlagen. Sie haben den Kanal voll, Sie wollen nicht mehr, und Sie merken auch, dass Sie älter werden und Jüngere nachrücken. Die Rente naht, Gott sei Dank.
Und dann ist sie da, Sie geben Ihren Abschied und gehen das letzte Mal durchs Werkstor. Sie kommen heim, räumen Anzug und Aktentasche weg. Am nächsten Morgen wachen Sie wieder um die gewohnte Zeit auf, wundern sich, dass der Wecker nicht geklingelt hat, erinnern sich, dösen noch ein halbes Stündchen, stehen dann auf. Und bei der ersten Kaffeetasse denken Sie: „Feierabend!“
Der Ruhestand ist da!
Nach ein paar Tagen wird das Ausruhen langweilig, Sie wollten doch in der Rente so viel tun, aber Sie haben ja Zeit. „Melde Dich mal!“, haben die Kollegen bei der Abschiedsfeier gesagt, und wie sehr sie Sie beneiden. „Könnte man ja mal tun“, denken Sie und greifen zum Telefon. Aber der beste Arbeitskollege, mit dem Sie sich immer gut verstanden haben, hat keine Zeit: „Ich hab gleich eine Besprechung, Du kennst das ja, der tägliche Wahnsinn! Aber schön, dass Du noch an uns denkst, ruf doch heute Nachmittag noch mal an.“
Am Nachmittag merken Sie schnell, dass Sie sich nichts mehr zu sagen haben, die Machtspielchen der Kollegen finden Sie nur noch kindisch. Aber Sie selbst haben auch nichts mehr zu erzählen, bei Ihnen passiert ja nichts. So ist das Gespräch bald vorbei, „Jetzt bist Du aber dran mit dem Anruf!“, sagen Sie noch, bevor Sie auflegen, wohl wissend, dass der Kollege, den Sie eigentlich besser kennen als die eigene Frau, kein Gesprächsthema mehr mit Ihnen findet. Ihnen wird klar, das war jetzt der endgültige Abschied vom Arbeitsleben, mit der Firma, für die Sie sich jahrelang aufgeopfert haben, verbindet Sie nichts mehr. Das tut noch mal ein bisschen weh, und Sie merken, wie wahr der Satz ist: „Jeder ist ersetzbar!“, nur dass Sie jetzt der Jeder sind, früher war das immer ein anderer.
Die Langeweile beginnt
Der Beruf war Ihr Leben, Ihre Daseinsberechtigung, und jetzt ist das Spannendste am Tag, was es zum Mittagessen gibt. Sie merken, wie Sie Ihrer Frau auf den Geist gehen, weil Sie vor lauter Langeweile durchs Haus schleichen. Sie fragen sich, ob es für Ihre Frau eine Horrorvorstellung ist, dass Sie jetzt ständig zu Hause sind, so wie in dem Loriot-Film. Und Sie merken, wie langsam Sie werden, das Frühstück dauert eine Stunde, wenn Ihre Frau Sie nicht treten würde, wären Sie wohl noch am Abend im Bademantel. Und das Ihnen, der doch immer so stolz auf seine Effizienz war! Aber es gibt kein Ziel mehr, der Garten ist gepflegt, das Auto geputzt, der Müll sorgsam getrennt und rausgebracht. Und die Leute, mit denen Sie ihr Hobby – angeln oder golfen oder Tennis – pflegen wollten, sind selbst noch in Arbeit und haben keine Zeit, und allein macht es keinen Spaß.
Spätestens jetzt fragen Sie sich, und vielleicht auch Andere: „Was ist falsch gelaufen?“ Aber niemand gibt Ihnen eine vernünftige Antwort. Sie kennen die Geschichten, dass die zwei Jahre nach der Verrentung die lebensgefährlichsten sind, Sie konnten sich nie vorstellen, warum. Aber wenn Sie jetzt im Gemeindeblättchen die Todesanzeigen lesen, wissen Sie, was den Männern in Ihrem Alter passiert ist: Boreout, sie sind vor lauter Langeweile und Ziellosigkeit gestorben. Und Sie erinnern sich an Ihre alte Tante, der man wegen eines Oberschenkelhalsbruchs verboten hatte, ihre Wohnung zu putzen. Nach einem Vierteljahr war sie tot. 89 ist sie geworden, immerhin, aber vorher war sie noch ganz fit gewesen, sie hätten gewettet, die wird 100. Passiert also auch Frauen! Aber das ist kein Trost, langsam bekommen Sie Angst. Was ist falsch gelaufen?
Warum habe ich mich nicht vorher um meine Wünsche gekümmert?
Die meisten Männer, vor allem die, für die der Beruf Ihr Ein und Alles war, hatten in einem Punkt die Aufschieberitis: Sie haben sich nie Gedanken gemacht, was sie mit sich anfangen wollen, wenn sie mal in Rente sind. „Das ist noch lange hin!“, haben sie immer gesagt, und: „Da fällt mir schon was ein!“ Und dann, ganz plötzlich und unerwartet, ist die Rente da. So wie Weihnachten jedes Jahr ganz unerwartet kommt. Und dann sind sie in ein schwarzes Loch gefallen, und sie steckten bis zum Hals drin. „Das Hobby zum Beruf machen“; das klang gut damals, aber jetzt ist das Hobby keins mehr, und der Beruf ist auch weg. Und eine der traurigen Gestalten, die nach der Rente jeden Tag ins Büro schleichen und so tun, als würden sie noch arbeiten und würden noch gebraucht, das will ja auch keiner, das ist oberpeinlich!
Warum haben diese Männer, die sonst jede Aufgabe mutig bei den Hörnern gepackt haben, sich nie Gedanken um den Ruhestand gemacht? Sie haben dafür einleuchtende Gründe:
- Nicht mehr arbeiten wird als eine Form der Impotenz gesehen.
Man wird nicht mehr gebraucht, man tut nichts mehr, und das Geld, das man jeden Monat bekommt, hat man nicht verdient. - Man hat Angst.
Die Verrentung ist das letzte große Ereignis im Leben, das nächste ist der Tod. Und sterben will keiner, und erst recht will sich niemand Gedanken über den Tod machen. Und wenn man nicht an ihn denkt, kommt er ja auch nicht, oder? - Man ist doch noch nicht alt!
Wer in Rente geht, ist alt, und man hat nicht den Eindruck, alt zu sein. Also, und das ist der Trugschluss, muss es ja noch lange hin sein bis zum Ruhestand. - Man hat keine Kraft mehr für zusätzliche Gedanken.
Man fühlt sich noch nicht alt, aber der Job zehrt immer mehr an den Nerven, und wenn man heimkommt, setzt man sich auf die Couch und ist froh, sich keine Gedanken mehr machen zu müssen.
So vergehen die Jahre, die letzten in der Firma. Und während man sich auf den Berufseintritt jahrelang vorbereitet hat, hat man nichts getan, um den Berufsaustritt vorzubereiten. Und dann merkt man, dass das wohl ein Riesenfehler war, denn plötzlich hat man keine Ziele mehr, keine Erwartung an das Leben. Man fragt sich: „Kommt noch was?“
Was jetzt?
Diese Frage kann man aber nicht alleine beantworten, das geht nur zusammen mit dem, mit dem man den Lebensweg gehen will, der noch vor einem liegt. Die Wünsche und Vorstellungen des Partners sind noch wichtiger als zuvor, denn nun lebt man enger zusammen, man ist schließlich nicht mehr den einen großen Teil des Tages in der Firma. Das Paar, das sich nicht abspricht, ehrlich und ohne falsche Zurückhaltung, verbringt die letzten Jahre des Lebens nicht mehr gemeinsam, auch wenn es noch zusammenlebt.
PS: Ich habe versucht, die Situation genederneutral zu schildern. Es ist mir nicht ganz gelungen. nicht weil ich Frauen für unwichtig halte, sondern weil sie oft weniger Probleme mit dem Ruhestand haben. Der Beruf war für sie meist nicht der alleinige Lebensinhalt. Außerdem habe ich die Situation selbst erlebt – als Mann.