Was tun mit unserer Angst?
Ein Leben ohne Angst gibt es nicht
Angst gehört zum Menschsein dazu, wer keine Angst hat ist entweder abgrundtief dumm oder hat eine psychische Störung. Der Regelfall ist, dass Menschen Angst haben. Deshalb scheint Angst ein en evolutionären Vorteil zu haben. Angst schützt uns davor, lebensgefährliche Dinge zu tun, da wir die Nachkommen von Überlebenden, von Siegern sind, ist die Angst wohl (über)lebenswichtig. Und Mut ist nicht die Abwesenheit, sondern die Überwindung von Angst.
Wie immer, macht auch hier die Dosis das Gift. Zu viel Angst führt zur Vermeidung jeglicher Handlungen oder zur Flucht. Angst vor dem Leben oder auch übermäßige Angst vor dem Tod ist gefährlich, denn es gibt genug Leute, die sich aus Angst vor dem Tod umgebracht haben.
Ob Angst angenehm oder unangenehm ist, hängt von der eigenen Einstellung zu ihr ab. Angst wird von manchen Menschen in manchen Situationen genossen, während andere genau diese Situationen zu vermeiden versuchen, weil ihnen die selbe Angst unangenehm ist. Wenn Angst nicht manchmal genossen würde, gäbe es keine Achterbahnen, Sprungtürme in Bädern oder Gruselfilme. Es ist also nicht die Angst selbst, die uns bestimmte Situationen vermeiden lässt, sondern unsere Einstellung zu ihr.
Auch das ist evolutionär sinnvoll, denn die Überwindung der Angst trainiert unseren Mut. Bei der nächsten angstbesetzten Situation können wir uns also sagen: „Ach ja, etwas Ähnliches habe ich schon einmal überlebt!“, und so handlungsfähig bleiben.
Wer Zäune um Menschen baut, bekommt Schafe!
Gerade Kinder verlassen ständig ihre Komfortzone, um ihren Mut zu trainieren. Sie machen Mutproben, klettern auf Bäume, balancieren auf Spielgeräten. Verweigern wir ihnen aufgrund eigener Ängste das Überwinden ihrer Angst, würden sie z.B. nie von Zuhause ausziehen.
Es gibt heute vermehrt „Nesthocker“, die noch mit 30 bei Mama wohnen. Das ist nicht, zumindest nicht nur, Bequemlichkeit, sondern vor allem Angst, die Angst, auf eigenen Beinen zu stehen. Diese großen Kinder haben nie eine Strategie erlernt, ihre Angst zu überwinden, sie sind nie „ohne Helm Fahrrad gefahren“. Das Durchleben von Angst ist eine Quelle persönlichen Wachstums.
Jemand, dem dieses Wachstum fehlt, ist gefährdet, an der unproduktivsten Art aller Ängste zu leiden, der Angst vor der Angst. Er ist dann nicht mehr in der Lage, den Grund seiner Angst zu benennen, so kann er sie auch nicht überwinden. Das Ergebnis ist eine dauernde Schockstarre, die Unmöglichkeit, sinnvoll mit Ängsten umzugehen, denn er vermeidet aus Angst jede angstbesetzte Situation. Das kann zu einer Angsterkrankung führen.
Eine solche Erkrankung kann aber auch andere Ursachen haben. Übermäßiger, ungesunder Stress ist ein Boden, auf dem Ängste prima gedeihen, vor allem Mobbing und Bossing erzeugt Angst. Aber auch die Unsicherheit des Arbeitsplatzes führt zu ständigem Stress. Angst kostet unsere Wirtschaft jährlich Milliarden, durch Fehlzeiten, unterlassene, eigentlich notwendige Handlungen oder dadurch, dass die Angst die Resilienz gegen körperliche und geistige Belastungen aufzehrt. Aber auch in einer solchen Situation hat die Angst eine Funktion: sie warnt uns, dass etwas nicht stimmt, dass wir überlastet sind, und schützt uns so vor größeren Schädigungen. Denn bleiben wir in dieser Situation, kommt es oft zu Depressionen und dem Burn-Out-Syndrom.
In der Therapie lerne ich, gesunde Verhaltensweisen auf ungesunde Umstände zu entwickeln.
Also ist es auch nicht sinnvoll, Angst nur als eine Erscheinung zu betrachten, die man weg-therapieren oder vermeiden muss. Aufgrund unserer Ängste suchen wir Antworten auf die Fragen, wie wir mit Entscheidungen oder Veränderungen umgehen. Sie zwingt uns zur Selbstreflexion. Denn Angst ist wie ein Wecker: Erst wenn wir sie zur Kenntnis nehmen, stellt sie den Alarm ab. Wir sollten uns also unseren Ängsten stellen, sie bewusst durchleben.
Allerdings, die Angst vor der Angst bleibt kontraproduktiv. Gegen sie muss professionelle Hilfe (z.B. Mindfullness-Based-Cognitive Therapie = MBCT) gefunden werden, sie kann unser Leben nachhaltig zerstören. Gegen sie muss man trainieren, im Hier und Jetzt zu bleiben, weder der Vergangenheit nachzutrauern noch uns vor der Zukunft grundlos zu ängstigen.
„Die Depression ist die Schwester der Angst: Die erste blickt in die Vergangenheit, die zweite in die Zukunft. Die Alternative ist der achtsame Fokus auf die Gegenwart.“
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PS: Ich weiß, dass Angst und Furcht in der Psychologie zwei verschiedene Dinge mit genau definierten Bedeutungen sind. Da diese Worte aber in der Alltagssprache durcheinander gehen, habe ich hier nur das Wort „Angst“ benutzt, wohl wissend, dass es hier an manchen Stellen im wissenschaftlicher Hinsicht falsch benutzt wurde.