Wut – die verpönte Emotion
Eine Anekdote behauptet, dass es einmal einen Mann gegeben hätte, der nie wütend geworden sei. Egal was passierte, stets behielt er die Contenance. Aber eines Tages rastete er völlig aus, er tobte und schrie herum. Als er sich dann wieder einigermaßen beruhigt hatte, fragte ihn ein Freund, was denn passiert sei, er sei in viel schlimmeren Situationen doch früher ruhig geblieben. „Ja weißt Du,“ antwortete er, „Ich habe einen alten, großen, schweren Eichenschrank im Keller stehen. Jedes Mal, wenn ich wütend werde, laufe ich schnell herunter und beiße ein Stück davon ab, dann ist meine Wut verraucht.“ – „Und warum hast Du das heute nicht gemacht?“ – „Der Schrank ist alle!“
Ausgelebte Wut wird gesellschaftlich nicht akzeptiert, wer seine Wut zeigt, wird als tumber Neanderthaler betrachtet, der seine Emotionen nicht beherrschen kann. Tatsächlich wird in der Wut viel Porzellan zerschlagen, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.Und nachher schämen wir uns unserer unbedachter Worte und Handlungen, die Wut hat uns übermannt und unsere Ratio ausgeschaltet. Wenn wir einmal in Rage sind, hilft es auch nichts, wenn ein anderer versucht, uns auf unsere nicht angemessenen Gefühle hinzuweisen. „Nun komm mal wieder runter!“ ist ein prima Satz, um einen Wütenden total ausrasten zu lassen.
Die Wut auszuleben, befreit im ersten Moment, führt aber später dazu, dass wir den Anlass der Wut als umso ärgerlicher empfinden. Sollten wir also unsere Wut unterdrücken?
Die Wut, die wir herunterschlucken, verschwindet nicht. Sie bleibt vorhanden und frisst an uns. Darüber hinaus führt der Emotions-Stau zu Stress. Wenn Gefühle nicht zugelassen werden, sinkt sie in unser Unterbewusstsein und wendet sich gegen uns selbst. Sie machen uns im wahrsten Sinne des Wortes krank. Selbst wenn wir unsere Gefühle nicht zeigen, bleiben sie dennoch bestehen. Wer ständig unter Druck steht, ohne ein Ventil zu haben, platzt eines Tages mit verheerenden Folgen für sich oder seine Umwelt. Unterdrückte Emotionen verhindert auch, dass wir deren Ursache genauer betrachten. Wir schauen weg und denken, dass die Emotionen dann nicht mehr existieren.
Also: Wut ausleben ist schlecht, sie herunterschlucken aber auch. Was bleibt denn da noch übrig, was können wir also tun?
Es gibt Situationen, in denen wir glauben, mit Recht Wut empfinden. Der Chef hat mal wieder völlig unberechtigt herumgenörgelt, ein Kollege hat eines unserer Arbeitsergebnisse als sein eigenes ausgegeben, die Bahn hat mal wieder Verspätung, oder, oder, oder. Wie werden wir dann weder cholerisch noch frustriert? Wieder einmal liegt die Lösung in der Achtsamkeit. Was haben wir in dieser Situation empfunden? Was ist genau gesagt worden? Haben wir alles richtig verstanden, oder hat der Andere bei uns einen „roten Knopf“ ausgelöst, der unsere Sinne vernebelt hat?
Wir sollten also unsere Emotionen genau betrachten , um sie zu erkennen und bewusst zu erleben. Am besten, wir erkennen und benennen den Ärger, bevor er zu Wut wird. Wenn die Wut aber schon hochgekocht ist, lässt sie sich durch kognitive Prozesse regulieren. Gewinnen wir im wahrsten Sinne des Wortes Abstand, indem wir – wenn möglich – die wutauslösende Situation für einige Minuten verlassen. Betrachten wir die Situation genau, am besten von außen wie ein unbeteiligter Beobachter, entdecken wir die „roten Knöpfe“, die gedrückt wurden, so dass wir in Rage geraten sind. Dabei sollten wir nicht zu entscheiden versuchen, wer Recht oder Unrecht hat, wir sollten nur beschreiben, was war. So wird die Wut zum Problemlöser, denn sie weist uns auf Probleme hin und zwingt uns dazu, uns mit ihnen zu beschäftigen. Dazu müssen wir lernen, unsere Emotionen – nicht nur unsere Wut – achtsam wahrzunehmen und zuzulassen, was ist.