Systemisch: was bedeutet das eigentlich? (I)
Therapien, Beratungen und Coachings schmücken sich heute oft mit dem Beiwort „systemisch“. Was bedeutet das eigentlich?
Die Systemtheorie ist in der Naturwissenschaft in der Wende zum 20. Jahrhundert entstanden, als die alten, rein mechanischen Weltbilder die beobachteten Phänomene nicht mehr beschreiben konnten. Die Zusammenhänge wurden als chaotisch erkannt, eine adäquate Beschreibung konnte nur noch systemtheoretisch geleistet werden.
Was ist chaotisch?
Chaos ist nichts Schlimmes, fast alles in unserem Leben ist chaotisch, angefangen beim Wetter über das Zusammenleben von Menschen bis hin zu unserer Stromversorgung. Nur sollte man nicht versuchen, das Chaos mit mechanischen Regelwerken zu beherrschen.
Menschen interagieren immer in Systemen, in Familien, Gruppen, Firmen, Abteilungen, Staaten. Die Gestaltpsychologie, aus der die psychologische Systemtheorie entstanden ist, nimmt als Modell die Gestalt, „das Ganze“, her, das Eigenschaften besitzt, die in seinen Teilen nicht zu finden sind. Denn das Ganze besteht nicht nur aus seinen Teilen, sondern auch aus den Beziehungen der Teile untereinander. Das Verhalten aller Teile ändert sich, wenn man ein Teil hinzufügt, und auch ein Beobachter, also ein Coach oder Berater ist ein Teil des Systems und ändert es somit.
Die Soziologie und die Psychologie haben erkannt, dass ihr Forschungsgegenstand, nämlich die Menschen und ihr Zusammenleben, chaotisch ist und versuchen seither, dieses Chaos mit systemtheoretischen Ansätzen zu beherrschen. Daraus haben sich die systemischen Vorgehensweisen der Berater und Coachs entwickelt
Und was macht das Systemische aus?
Das systemische Vorgehen legt besonderen Wert auf die Wechselwirkungen der Elemente eines Systems, nicht aber auf die Eigenschaften der einzelnen Elemente. Ein systemisch Denkender geht davon aus, dass ein Mensch als Element eines Systems keine festen Eigenschaften hat, aufgrund derer er handelt, sondern dass dieses Handeln bestimmt wird von den Interaktion der Elemente der Systeme, in denen dieser Mensch agiert, und von seinen Erfahrungen mit anderen Systemen. Die überträgt er mehr oder weniger angemessen auf sein Verhalten in anderen Systemen.
Denken wir mal als theoretisches Beispiel an einen Firmenchef, der aber zu Hause unter dem Pantoffel steht. Was hat der jetzt für eine Eigenschaft seine Führung betreffend? In der Firma verhält er sich dominant, zu Hause devot. Der systemische Berater wird ihm nun nicht eine dieser Eigenschaften zuweisen, sondern er wird sagen, dass er sich dort aufgrund der in der Firma auftretenden Regelkreise dominant verhält, gegenüber seiner Frau aber devot, weil im Familienkreis andere Regelkreise wirken. Er reagiert auf die Regelkreise nicht, weil er bestimmte Eigenschaften hat, sondern nur aufgrund früherer Erlebnisse, die er in diesen oder anderen Systemen gemacht hat.