Als Coach bin ich ratlos
Ja warum soll dann jemand überhaupt zu mir kommen? Soll ich nicht meine Klienten beraten? Ich gehe ja schließlich auch zum Arzt, nenne ihm meine Beschwerden, und der macht sie weg.
Ein Psychotherapeut ist in der selben Situation wie der Arzt: Jemand kommt zu ihm und hat Beschwerden. Er stellt fest, was der Patient „hat“ und gibt ihm Ratschläge, wie er die Beschwerden los wird. Denn zum Therapeuten kommen Leute, die krank sind, er soll heilen. Sie sind Patienten und können sich nicht selbst helfen, sie können nicht selbstständig tätig werden.
Coaching ist anders. Zum Coach kommen Leute, die im Grunde gesund sind, die ihr Leben in der Regel durchaus meistern können. Sie haben nur gerade ein Problem, für das sie unbegleitet keine Lösung finden. Sie sind keine Patienten, haben keine Krankheit, sie sind Klienten. Der Coach muss und darf sie nicht heilen. Und so darf ich als Coach keine Ratschläge geben, ich bin also „ratlos“. Denn ich bin kein Fachmann für Lösungen, ich sehe mich als Fachmann für Fragen, für den Prozess der Lösungsfindung. Die Lösungsfindung selbst aber ist Aufgabe des Klienten.
Warum sind eigene Lösungen gut für den Klienten?
Wenn der Coach aber keine Lösungen finden muss, ja keine Lösung vorgeben darf, wo ist dann der Vorteil für den Klienten? Er darf die eigenen Lösungen finden, und das ist gut so …
… weil die eigenen Lösungen die eigenen Probleme lösen.
Und nicht die des Beraters, der Probleme auf den Klienten projiziert.
… weil eigene Lösungen auf eigenen Fähigkeiten beruhen.
Und nicht auf denen, von denen der Berater denkt, dass er sie haben sollte.
… weil eigene Lösungen zum eigenen Leben führen.
Der Klient lebt also selbst und wird nicht gelebt
Warum kommt der Klient denn dann zum Coach?
Wenn der Klient eigentlich in der Lage ist, die Lösungen für seine Probleme zu finden, warum kommt er dann überhaupt zum Coach?
Ein Grund ist sein „Blinder Fleck“, der das Problem verdeckt. Um Lösungen angehen zu können, ist es gut, wenn er das Problem glasklar sehen kann. Er hat es in der Regel ja nicht erst seit gestern, und in vielen Fällen kann er es, weil er schon lange mehr oder weniger gut mit ihm lebt, gar nicht mehr so genau erkennen. Und das, was heute Probleme macht, war früher oft die Lösung, sie ist erst durch einen geänderten Kontext zum Problem geworden. Und es gibt noch ein Problem mit Problemen: Oft sind die, die man sieht, nur Scheinprobleme. Die eigentlichen Probleme liegen tiefer, und es braucht einen klaren, unverstellten Blick, sie zu finden. Den eigenen „Blinden Fleck“ zu hinterfragen, dazu braucht es Unterstützung und Begleitung von außen.
Die eigene Lösung finden
Wenn das Problem aber nun erkannt ist, die Fragestellung also klar, warum sollte sich der Klient dann bei der Lösung begleiten lassen? Er kann doch nun selbst weiter kommen.
Es gibt ein paar Hindernisse bei der Lösungsfindung, Fallen, die man sich selbst stellt und die deshalb umso wirkungsvoller sind:
- Dass das Problem besteht, hat für den Klienten vielleicht einen Vorteil.
Dieser „sekundäre Gewinn“ ist vom Klienten selbst kaum zu erkennen, er versteckt sich wirkungsvoll. - Es gibt Gewohnheiten, Glaubenssätze oder andere Menschen, die den Blick auf die Lösung verstellen.
Um hinter diesen „Sichtschutz“ zu blicken, braucht es eine andere Perspektive. - Das Leben nach der Lösung und der Erreichung des Ziels geht ja weiter, was kommt dann?
Wenn der Klient die folgenden Aufgaben nicht angehen will, wird er das Ziel genauso wenig erreichen wollen.
Wenn ich das alles in Betracht ziehe, ich bin gar nicht so unglücklich mit meiner Ratlosigkeit. Ich betrachte sie als Stärke, denn ich denke, dass ich den Klienten so am besten begleite. Ich folge gerne Steve de Shazer, einem der Begründer der lösungsfokussierten Therapie, der Coachs riet: „Wenn Sie denken, eine Lösung für das Problem Ihres Klienten gefunden zu haben, nehmen Sie eine Aspirin und setzen sich in die Ecke, bis der Anfall vorbei ist.“