Ein Schatten wird projiziert
Was ist ein Schatten, und was ist eine Projektion? Beide Begriffe wurden von dem Psychoanalytiker C. G. Jung in die Psychologie eingeführt. Sie werden heute noch als Modell für das entsprechende Verhalten von Menschen erfolgreich genutzt.
Der Schatten
Als Schatten wird ein Anteil von mir bezeichnet, den ich ins Unbewusste verdrängt habe, weil ich ihn nicht als Teil von mir akzeptieren kann. (Ein Anteil ist im systemischen Sinn zu verstehen, als eines der Elemente, deren Gesamtheit schließlich meine Persönlichkeit ausmacht.)
Jedoch, was bringt jemanden dazu, einen Teil von sich zu verdrängen? In der Regel ist dieser Teil ein Verhalten, das gesellschaftlich, von der Umgebung oder der Herkunftsfamilie heftig abgelehnt wurde. So wurde gelernt, das Verhalten als „schlecht“, „sündig“ oder sonstwie verdammungswürdig anzusehen, obwohl es objektiv nicht unbedingt negativ sein muss.
Ein Beispiel des Schattens
Bei der Arbeit macht jeder vernünftige Mensch – auch Du – üblicherweise eine Pause. Besonders, wenn Du erschöpft bist oder dich nicht mehr konzentrieren kannst. Jetzt weißt Du, dass deine Produktivität so weit gesunken ist, dass du eine Erholung oder Pause brauchst. Weiterzuarbeiten lohnt sich nicht, denn Du kommst doch nicht vom Fleck.
Bist Du hingegen in einer Familie aufgewachsen, in der „Pause machen“ als Faulheit angesehen wurde, wirst du den im Grunde vernünftigen Anteil in Dir, der Dir eine Pause nahe legt, als faul verstehen und verdrängen, indem Du ihn ins Unbewusste verlagerst. Dann wirst Du nicht mehr spüren, wann Du zwingend eine Pause machen solltest, um deine Leistungsfähigkeit zu erhalten. Du wirst dich zur Arbeit zwingen, wirst dich trotz Unproduktivität quälen.
Nun könnte man sagen, ein Verhalten, das abgelehnt und das ins Unbewusste abgeschoben wurde, soll ruhig da bleiben – es kann ja von dort aus nichts mehr schaden, oder? Wenn ich einen Schrank habe, kann ich da meine Winterklamotten unterbringen, sie sind mir im Sommer nicht im Wege. Das geht aber beim Unbewussten nicht so einfach. Das bleibt nämlich aktiv, und die Dinge, die dort versteckt wurden, kommen im unpassendsten Moment zum Vorschein. Sie wollen gesehen werden.
So wird sich das „Pause machen“ vielleicht bei einer wichtigen Arbeit als „Aufschieberitis“ äußern. Oder – viel schlimmer – als eine Krankheit, die zu einer lange Pause zwingt.
Die Projektion
Am Beispiel des Menschen, der das „faule Pause machen“ als Schatten ins Unbewusste verdrängt hat, könnte wir auch die Projektion verstehen. Denn dieser Mensch wird wütend, wenn er einen in seinen Augen faulen Menschen sieht. Er wird jeden, der gerade nicht arbeitet, als „Faulpelz“ beschimpfen.
Was passiert hier? Er wütet eigentlich gegen seinen eigenen Anteil, der in seinem Unbewussten versteckt ist und gegen den er ständig unbewusst kämpfen muss. Da niemand freiwillig auf sich selbst wütend ist, projiziert er die Wut ins Außen, auf einen angeblich faulen Menschen. Diese Wut kann sich sogar zu einem Hass auf die Menschen auswachsen, die sich nicht nach seinen Vorstellungen verhalten.
Ein Beispiel der Projektion
Ich kannte einmal einen Mann, breitschultrig, muskulös, gutaussehend. Er hatte den Ruf, jede Frau ins Bett zu zerren, die nicht bei Drei auf den Bäumen war. Ein Frauenheld, zu keiner länger andauernden Beziehung in der Lage. Das Verhalten war geradezu zwanghaft.
Gleichzeitig schimpfte er auf alles, was er als „schwul“ empfand. Ich kannte damals den Begriff der Projektion noch nicht und empfand seine Homophobie als eigenartig. Denn nie hätte sich ein Schwuler an ihn, den offensichtlich so heterosexuellen, heran gemacht. Schwule waren für ihn also eigentlich keine Bedrohung, trotzdem hasste er sie aus tiefstem Herzen, ja er bezeichnete sogar heterosexuelle Männer als schwul, wenn sie nicht seinem Männlichkeitsbild entsprachen.
Du vermutest richtig: Er hatte selbst schwule Anteile, konnte diese Seite an sich aber nicht akzeptieren. Familie, Gesellschaft und Religion hatten ihm beigebracht, alles Schwule als ekelhaft, abartig und sündig zu hassen. Das hatten ihn seine schwulen Anteile verdrängen lassen.
Auf der Suche nach Liebe musste er nun von einer Frau zur anderen hasten und konnte bei keiner Erfüllung finden. Er hatte ständig Angst vor einem Versagen im Bett, weil auch das für ihn ein Anzeichen von Homosexualität war. Und so steigerte sich sein Hass auf sich selbst und in der Projektion auf alles Schwule immer weiter.
Was tun gegen Schatten?
Damit Schatten nicht in unpassenden Momenten das Ruder übernehmen, sollten wir uns ihrer bewusst werden und sie integrieren. C. G. Jung hält das für den besten Weg, mit ihnen klar zu kommen, und ich finde das sehr einleuchtend. Sie sind aber im Unbewussten versteckt. Wie können wir sie trotzdem finden?
Schatten verraten sich vor allem durch Projektionen. Beobachte, welche Verhalten Du an anderen Menschen hassen. Ablehnung ist hier nicht gemeint, denn die hat zu viel mit dem Verstand zu tun. Hier geht es darum, dass sie etwas auf die Palme bringt, dass sie Schaum vor den Mund bekommen, wenn sie es beobachten. Meist ist dieser Hass nicht rational zu begründen.
Jetzt hast Du Deine Projektion gefunden! Dieses Verhalten weist auf Deinen unbewussten Anteil, Deinen Schatten hin. Das ist schwer zu ertragen – ein Verhalten, das uns so verhasst ist, dass wir es im tiefsten Keller des Unbewussten vergraben haben, soll ein Teil von uns sein? Ja, und Du darfst es auch willkommen heißen, denn es ist nicht schädlich, sondern eine Ressource, wenn wir es richtig einsetzen. Aber es willkommen zu heißen, ist schwer. Der oben beschriebene Don Juan hat sich heftig gegen das Erkennen seiner eigenen Homosexualität gewehrt, und erst als er sich Hilfe geholt hat, konnte er sie integrieren und in der Folge mit Frauen und Männern entspannt umgehen.
Sein Beispiel beweist aber, dass die Integration eines Schattens zu schaffen ist. Wenn es zu schwer für Dich ist, solltest Du Dir Hilfe holen, jemand der Dich bei der Versöhnung begleitet. Auch ich habe meine Schatten akzeptiert und zu integrieren gelernt. Ich unterstütze Dich gerne.