German Angst?
Im Ausland wird immer wieder behauptet, es gebe eine besondere „German Angst“ – und hier wird das deutsche Wort verwendet, um besonders darauf hinzuweisen, dass das etwas spezifisch Deutsches sei – die Deutschen seien eben Angsthasen und ihre Befürchtungen seien nicht ernst zu nehmen. Und unsere deutschen Journalisten haben das übernommen.
Klärung der Begriffe
Psychologen unterscheiden in diesem Zusammenhang genau zwischen verschiedenen Begriffen:
Furcht | bezieht sich immer auf eine konkret bestehende oder potentiell vorhandene Gefahr. Deshalb wird die Furcht auch als „Realangst“ bezeichnet. |
Angst | ist ein nicht rational begründeter, nicht auf eine konkrete Gefahr gerichteter Gefühlszustand. |
Angststörung | eine übertriebene Angstreaktion, entweder
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Panik | Furcht, die schlagartig auftritt und vernünftiges Handeln unmöglich macht. |
Panikstörung | auch Panikattacke, kurze, nur wenige Minuten dauernde, dafür aber umso heftigere generalisierte Angst. |
Die Umgangssprache unterschiedet nicht zwischen Furcht und Angst. Ausländische Psychologen haben nun davon gehört, dass die Deutschen Angst vor Kernkraft, Krieg oder Umweltverschmutzung haben. Sie schauen in ihre psychologischen Wörterbücher – deutsch ist seit Freud eine wichtige Sprache in der Psychologie – und lesen die Definition. Sie finden dort aber nichts darüber, dass „Angst“ umgangssprachlich mit „Furcht“ gleichzusetzen ist. Sie schließen daraus, dass die entsprechenden Ängste der Deutschen rational unbegründet seien – und so kreiert eine unscharfe Übersetzung die „German Angst“. Nachdem man jahrelang vor den Deutschen Angst hatte, darf man sie nun endlich als Angsthasen bezeichnen.
Warum haben wir Angst?
Angst ist ein Mittel zum Überleben, und zwar für alle Tiere, die ein Bewusstsein haben. Eine Maus, die durch eine Fehlschaltung im Gehirn keine Angst hat – man kann solche Mäuse züchten – ist in freier Wildbahn nicht überlebensfähig. Und auch der Mensch hätte ohne Angst nicht überlebt. Wir haben von unseren tierischen Ahnen die Fähigkeit geerbt, Angst zu haben.
Später kamen dann biologisch vorbereitete Ängste hinzu: die Angst vor Schlangen ist zwar erlernt, kann aber besonders leicht gelernt werden, weil diese Angst in Afrika für unsere Vorfahren für einige Millionen Jahre sinnvoll war. Ähnliches gilt für die Angst vor Dunkelheit oder Feuer.
Andere Ängste, zum Beispiel die vor einem Klimawandel oder vor alltäglichen Gefahren, wie z.B. dem Straßenverkehr, waren für unsere Vorfahren nicht existent. Sie sind deshalb biologisch nicht vorbereitet und somit von uns nur mühsam zu erlernen und leicht zu verdrängen.
Wo hat uns die „German Angst“ geholfen?
- Ohne die Furcht der Deutschen vor der Umweltverschmutzung hätten wir bis heute keine Mülltrennung und keine Pfandbehälter. Langsam ziehen jetzt andere Staaten nach, aber Deutschland ist immer noch eine der führenden Länder auf diesem Gebiet.
- Ohne die Furcht der Deutschen vor einem Fukushima in Deutschland wäre der Atomausstieg noch keinen Schritt weiter.
- Ohne die Furcht der Deutschen vor einem Krieg hätten wir den unsinnigen zweiten Irak-Krieg mitgemacht.
- Ohne die Furcht der Deutschen vor dem Waldsterben gäbe es bis heute keine Katalysatoren und keine gereinigten Kraftstoffe. So aber ist der Wald wieder in einem relativ guten Zustand
Und so gibt es weitere Beispiele, in denen uns unsere Furcht wirklich geholfen hat oder zumindest ein Nachdenken in Gang gesetzt hat.
Und wo hat uns die „German Angst“ geschadet?
Es gibt eine vagabundierende Angst, eine Angst vor Dingen, die nicht so recht greifbar sind, und deren Ursachen sich niemandem konkret zuordnen lassen. Zum Beispiel die Angst vor dem Klimawandel – wir alle sind daran schuld, also niemand konkret. Oder vor einer Verarmung – wer die Konzentration des Vermögens in wenige Hände und die Gewinnmaximierung durch Globalisierung betreibt, ist nicht recht fassbar. Oder die Angst vor Flüchtlingen – die Ursache der globalen Wanderbewegungen liegt in der Geschichte, verschiedene Länder haben ihren Anteil daran.
Werden diese Ängste instrumentalisiert, können sich bestimmte Gruppen in den Vordergrund schieben und ihre Interessen durchsetzen. Das hat schon früher hervorragend geklappt: die Kirche hat über die Gläubigen geherrscht durch deren Angst vor der Hölle, deshalb hat sie ganz normale menschliche Tätigkeiten zur höllenstrafbewehrten Sünde erklärt. Und schon Machiavelli wusste, dass ein Fürst – also eine Regierung – am einfachsten über ein Volk in Angst herrschen kann. Deshalb wird von bestimmten Politikern die Angst vor Fremden geschürt, die angeblich chaotische Gesellschaftsverhältnissen verursachen. Oder die Angst vor dem Kommunismus, der das mühsam erworbene Häuschen enteignet. Oder die Angst vor Juden, die eine Weltverschwörung anzetteln. Oder die Angst vor Negern, die unsere Frauen vergewaltigen. Oder, oder, oder…
Haben Bewohner andere Staaten keine Angst?
Ich behaupte, in allen Industriestaaten sind die auftretenden Ängste zwar unterschiedlich, ihre Summe ist aber gleich. Weil wir heute sehr sicher leben, läuft unser von der Biologie entwickelter Angstmechanismus ins Leere und lässt uns Gefahren überbewerten.
Ein typisches Beispiel, wie man Ängste ausnutzen kann, ist Trump: Auch die Amerikaner haben Angst vor einem Klimawandel, sie haben schließlich in den 30’ern die „Dustbowl“ erlebt. Aber jetzt kommt jemand daher, der im Brustton der Überzeugung behauptet: „Den Klimawandel gibt es nicht!“ Alle sind erleichtert, der „Papa der Nation“ hat schließlich gesagt, sie bräuchten keine Angst zu haben, und alle glauben das gerne. Gerade in einem zutiefst ängstlichen Land wie den USA, wo jeder eine Schusswaffe braucht, um sich zu schützen, ist es für rechte Politiker wichtig, Sicherheit zu geben, auch da, wo sie nur Scheinsicherheit geben können. Und Trump nutzt das weiter aus: er verspricht eine Mauer gegen Mexikaner, die „die Arbeitsplätze wegnehmen“, er tut also scheinbar etwas gegen die Angst vor dem sozialen Abstieg. Und er verspricht, als Mittel gegen die geheime Angst der Amerikaner, nur mittelmäßig zu sein, Amerika wieder groß zu machen, allerdings ohne konkrete Ziele und Mittel zu benennen.
In Frankreich übernimmt diese Rolle die Front National. England ist bereit, sich für eine Scheinsicherheit von einer unglaublichen Anzahl von Kameras überwachen zu lassen, und es tritt aus Angst vor nationaler Zweitrangigkeit aus der EU aus, um wieder eine Großmacht werden zu können, obwohl diese Zeit längst vorbei ist. Polen fühlt sich gut, wenn es seine Ängste auf die Deutschen als Nazis projizieren kann. Ungarn baut Zäune gegen seine Angst vor Flüchtlingen, die das kleine ungarische Volk überrennen könnten. Und die Türkei, die an ihren innerstaatlichen und wirtschaftlichen Problemen zu zerbrechen droht, will auch wieder groß werden, jagt ihre Geldgeber, die Touristen, aus dem Land und unterstützt einen Mann, der sich als Sultan geriert.
Was also tun gegen Ängste?
Wenn Ängste plötzlich auftauchen, wenn eine neue „Angstsau“ durchs Dorf getrieben wird, sollten wir nicht sofort aufspringen, sondern uns zuerst einmal folgende Fragen stellen:
- Wem nützt es, wenn ich vor dieser Sau Angst habe?
- Ist die Sau real oder ein Popanz?
- Sind die Statistiken, die diese Angst schüren, korrekt oder verfälscht?
Nehmen wir als Beispiel die Terrorgefahr: sie ist real, aber die Wahrscheinlichkeit an einem Bienenstich zu sterben, ist weit höher. Von der Terrorpanik haben nur zwei Gruppen etwas: die den Anschlag verüben, haben Angst und Unsicherheit erzeugt und somit ihr Ziel erreicht. Und wer die Macht der Exekutive stärken und Freiheiten abschaffen will, hat neue Argumente. Ach ja, die Boulevardpresse hat etwas zu berichten und die sozialen Medien haben einen neuen Aufreger.
Also zuerst einmal mit kühlem Kopf an die vermeintliche Bedrohung herangehen. Wir haben Zeit, wenigstens ein paar Tage, vielleicht auch Monate. Wir brauchen auf keinen Fall in wilden Aktionismus zu verfallen. Dabei sollten wir daran denken: Was wir nicht sehen, davor haben wir die meiste Angst. Wir sollten uns also unsere Angst und deren Auslöser anschauen, die Fremden kennen- und die Statistiken lesen lernen. Denn Panik wird gern benutzt, um Scheingefahren real zu machen.
Wir sollten auch prüfen, ob diese Angst ein Schockrisiko ist. Ein Flugzeugunglück ist ein typisches Beispiel, dabei sterben viele Menschen auf einen Schlag. Bei einem Autounfall sterben nur wenige, weil es aber so viele Verkehrsunfälle gibt, summieren sich die Toten beinah unbemerkt auf 3,5 Tausend pro Jahr. Fliegen ist weniger gefährlich als Auto fahren, trotzdem haben wegen dem Schockrisiko Menschen mehr Angst vor dem Fliegen.
Fazit
Lassen Sie sich also nicht von Leuten, die Macht anstreben, in Panik versetzen. Stellen Sie die drei Fragen. Und wenn eine Gefahr wirklich real ist, bereiten Sie sich vor, legen Sie sich einen Notfallplan zurecht. Und wenn auch das nicht geht, halten Sie es wie Luther: „Und wenn morgen die Welt unterginge, so pflanzte ich heute noch ein Apfelbäumchen!“ Denn Angst kann uns nur dann beherrschen, wenn wir ihr die Macht dazu geben.